Therapie: Die im Öl schwimmen

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In Aserbaidschan wird eine ganz besondere Therapie angeboten: Ein Bad in reinem Erdöl. Über den Sinn, Zweck und Geruch dieser eher rabiat wirkenden Wellnessform.

Nur in einen Bademantel gehüllt starrt Arkadi Schabunin aus dem Fenster der Naftalan-Klinik. Hinter der Scheibe hat man das Wrack eines gelben Lada auf vier wackelige Ziegelsteintürmchen aufgebockt. Links davon: die Baustelle zweier 15-stöckiger Gebäude.

Weit in der Ferne ist ein breites Band schwarzer, mit Metallkonstruktionen gespickter Erde zu sehen. Es handelt sich um das Bibi-Heybat-Ölfeld in Bakus 20. Distrikt am Ufer des Kaspischen Meers. Für ein Heilbad ist Bakus Vorort Badamdar ein ungewöhnlicher Standort, fürwahr, aber ungewöhnlich ist auch das, was hier geboten wird: Bäder nicht in duftenden Kräuteressenzen – sondern in Rohöl.

Von Sibirien ins Blut der Erde. Die Kunden kommen in Scharen. Einige aus dem Nahen Osten, wenige aus Europa, die meisten aus der ehemaligen Sowjetunion. So wie Arkadi Schabunin, Kapitän eines sibirischen Raftingteams, der für seine zehntägige Bäderkur fast 3000 Kilometer weit angereist ist. Der Bademeister gibt ihm ein Zeichen, Schabunin zieht sich aus und betritt einen malvefarben gefliesten Raum. Er hält sich an den reich ornamentierten Badewannengriffen fest und senkt seinen Körper in eine mit 160 Liter schwarzem Gold gefüllte Wanne – so viel wie ein Barrel Öl.

Orangefarbene Partikel treiben an der Oberfläche, kleben am Email und bleiben an Schabunins Körperbehaarung hängen. Der Geruch des 40 Grad warmen Bads, der an Mottenkugeln erinnert, ist im wahrsten Sinne des Wortes schwindelerregend.

Tanker am Horizont. Wenn man sich anstrengt, kann man von Badamdar aus am Horizont gerade noch die Tanker sehen, die durchs Kaspische Meer pflügen, an Bord das Öl, das Aserbaidschan in die ganze Welt exportiert. Das Öl jedoch, das hier verwendet wird, ist ein anderes: Es quillt aus der Erde von Naftalan, einer kleinen Stadt 250 Kilometer westlich der Hauptstadt.

„Naftalan-Öl ist für die Industrie zu schwer“, sagt Alif Zulfugar, Arzt und Manager dieses ungewöhnlichen Heilbads. „Es wird allein zu Heilzwecken verwendet und in keiner Weise verarbeitet. Es kommt aus der Quelle in die Tanks und von dort direkt in unsere Wannen.“

Marco Polos Quelle gegen Krätze.Schon der legendäre venezianische Asien-Reisende Marco Polo (1254–1324) hat im 13. Jahrhundert die Vorzüge des Aseri-Öls erwähnt. In seinem berühmten Reisebericht beschreibt er eine „Quelle, aus der in großem Überfluss Öl springt – nicht genießbar, aber gut zum Verbrennen geeignet und um Menschen und Tiere mit Krätze zu behandeln und Kamele mit Nesselsucht und Geschwüren“.

In einem der blassblauen Korridore der Klinik ist eine Frau unterwegs, deren gelbe Haut und verlangsamter Gang anzeigen, dass sie gerade erst einem Ölbad entstiegen ist. Tatjana Schabunin ist Dermatologin und leistet ihrem Mann Gesellschaft. Sie hat das Naftalan-Öl in einem ihrer Fachbücher entdeckt, als sie in Moskau studierte. Sie ist aus professioneller Neugier und, wie sie sagt, „des schieren Vergnügens wegen“ nach Baku gekommen. Andere kommen aus medizinischen Gründen.

Ein Öl gegen 100 Krankheiten. Dem Rohöl wird nachgesagt, gegen Ekzeme und Schuppenflechte zu helfen, es lindere auch rheumatische und arthritische Gelenkschmerzen und tue den Nerven gut. „Bei 100 Krankheitsfeldern insgesamt“, sagt Doktor Zulfugar, könne es Anwendung finden.

Allerdings: Das Öl besteht zu fast 50 Prozent aus Naphtalin, einem Kohlenwasserstoff, der gemeinhin als Mottengift Verwendung findet und auch so riecht. Das ist insofern ein Problem, als EU-Bestimmungen Naphtalin als potenziell krebserregende Substanz einstufen. Der Doktor wischt solche Bedenken indes beiseite: Acht bis zwölf Minuten pro Sitzung und nicht mehr als ein Ölvollbad pro Tag im Rahmen einer zehntägigen Behandlung setzten seine Patienten doch keinerlei Risiko aus, findet er. Millionen Menschen hätten die Naftalan-Bäder schließlich schon genossen.

In der Blüte des Öl-Spa-Betriebs in den 80er-Jahren kamen jedes Jahr 75.000 Menschen in Bäder im Städtchen Naftalan. Doch der Strom verwandelte sich in ein Rinnsal, als es 1988 zum Krieg zwischen dem moslemisch dominierten Aserbaidschan und dem christlichen Armenien, um dessen nahe Exklave Berg-Karabach in Aserbaidschan kam. Fünf der sechs Bäder der Sowjetzeit in Naftalan wurden damals in Flüchtlingslager verwandelt.

Aserbaidschan hat seitdem einen neuen Ölboom erlebt; es fördert Erdöl und liegt auf der Schlüsselroute des Öltransports von Zentralasien nach Europa. Das Bruttosozialprodukt des Acht-Millionen-Einwohner-Landes (für 2009 werden mittlerweile nur noch 2,5 Prozent Wachstum erwartet) wuchs zwischen 2003 und 2007 durchschnittlich um mehr als 20 Prozent im Jahr, womit die frühere Sowjetrepublik zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften weltweit zählte.

„Schauen Sie sich diesen Hügel an“, schwärmt Hikmat Ibrahimow, der Gründer der Klinik. „Als wir angefangen haben, war da nichts.“ Heute bewundern wir ein Elektrizitätswerk und unter Bäumen versteckte Restaurants, unter Bäumen und unter Kränen, sehr vielen Kränen. Denn es wird weiter gebaut in Baku-Badamdar; gerade wird eine zweite Heilbad-Klinik errichtet.

Der schwarzes Gold schwitzt. Im VIP-Bad hilft derweil Ismael, der 18-jährige Badejunge, dem Sibirier Schabunin unter die Dusche – zum 30-minütigen Abschrubben. Ismael muss drei Monate arbeiten, um die 300 Euro zu verdienen, die die zehntägige Behandlung kostet – ohne Hotel und Verpflegung.

Ismail scherzt, dass sein russischer Patient sicher ein paar Tropfen des schwarzen Goldes mit nach Sibirien nehmen werde, als Souvenir. Und damit hat er recht: Schabunins Haut wird auch nach mehrfachem Schrubben und Einseifen noch zwei, drei Tage lang schweres aserbaidschanisches Rohöl ausschwitzen.

Aserbaidschan ist hinsichtlich seiner Fläche (86.600km2) und der Bevölkerungszahl (8,2 Mio.) Österreich sehr ähnlich. Das von diversen Stämmen besiedelte Gebiet wurde abwechselnd von fremden Völkern (etwa den Persern, Parthern, Mongolen, Türken oder Russen) unterworfen. Ab 1920 Sowjetrepublik, wurde es im August 1991 unabhängig. Der Islam ist die Hauptreligion.

Ölquellen gab es hier schon in der Antike. Im 19. Jahrhundert explodierte die Ölförderung auf industriellem Niveau, im Raum um die Hauptstadt Baku wurde ab 1898 über etwa zwei Jahrzehnte lang mehr Öl gefördert als in den USA, und von hier stammte zu jener Zeit mehr als die Hälfte der Weltproduktion.

Die Wirtschaft basiert hauptsächlich auf der Förderung von Öl und Gas, deren Export für zwei Drittel des BIP verantwortlich ist. Auf der Liste der Ölförderländer nahm Aserbaidschan zuletzt mit etwa 45 Millionen Tonnen (2008) nach Indonesien und vor Indien Rang 22 ein. Es gibt größere Reserven an Gold, Silber, Eisen, Kupfer, Titan, Chrom, Mangan, Kobalt und anderen Bodenschätzen; auch die Holzwirtschaft ist bedeutsam.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2010)

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