Brexit: „Legen Sie Teevorräte an“

Es wird eng: Theresa May erhoffte am Donnerstagabend in Brüssel Zugeständnisse für das Brexit-Abkommen.
Es wird eng: Theresa May erhoffte am Donnerstagabend in Brüssel Zugeständnisse für das Brexit-Abkommen.(c) REUTERS (YVES HERMAN)
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Die Gefahr eines Brexit ohne Nachfolgelösung steigt angesichts des politischen Chaos in London. Für den No-Deal ist man nur bedingt vorbereitet. Die EU-Spitzen bleiben hart: Es werde keine Nachverhandlungen geben.

Brüssel. Litauens Präsidentin, Dalia Grybauskaitė, erheitert seit geraumer Zeit während europäischer Gipfeltreffen Diplomaten und Journalisten mit ironischen Twittermeldungen, welche die oft unlösbar scheinenden Konflikte auf dem Verhandlungstisch trocken benennen. „Brexit-Weihnachtswunsch: Entscheide dich endlich, was du wirklich willst, und Santa wird es bringen“, notierte die Sibylle aus Vilnius am Donnerstag vor Beginn des Brexit-Gipfels, und damit hatte sie die Gemütslage der 27 EU-Spitzen gegenüber der britischen Premierministerin, Theresa May, auf den Punkt gebracht.

Legaler Zaubertrick für May

Seitens der Union gibt es in Sachen Brexit nichts nachzuverhandeln. Man hat sich im November nach langen Mühen und Verrenkungen mit Mays Verhandlern auf ein Abkommen über den Austritt des Vereinten Königreichs sowie eine (rechtlich unverbindliche) politische Erklärung zur Zukunft der Beziehungen zwischen London und Brüssel geeinigt. Für May ist das allerdings nicht genug, um im Parlament der nötigen Mehrheit für das Austrittsabkommen gewiss zu sein. Die 27 mögen ihr beim Gipfel eine rechtlich belastbare Zusicherung gewähren, dass einige für die Brexit-Anhänger im Parlament besonders schwer verdauliche Folgen des Brexit nicht eintreten werden – allen voran der Verbleib des britischen Nordirland im Binnenmarkt, falls es keine andere Lösung zur Verhinderung des Entstehens einer irisch-irischen Grenze gibt.

So ein Einknicken der EU wird es nicht spielen. „Wir können heute Abend eine politische Diskussion haben, aber der rechtliche Rahmen und das Abkommen, die verhandelt worden sind, werden sich nicht ändern“, sagte Frankreichs Staatspräsident, Emmanuel Macron, vor Sitzungsbeginn. „Es ist wichtig, jegliche Zweideutigkeit zu vermeiden: Wir können nicht neu verhandeln, was monatelang verhandelt worden ist.“Und auch später machten die EU-Chefs in einer Erklärung klar, dass sie "Neuverhandlungen" zu dem Austrittsvertrag ausschließen. Die EU sei aber "fest entschlossen", mit London nach dem EU-Austritt im März kommenden Jahres schnell Verhandlungen über eine Vereinbarung aufzunehmen, um die Auffanglösung für die irische Grenze überflüssig zu machen.

Und selbst May gestand schon im Vorhinein ein, dass sie „keinen unmittelbaren Durchbruch“ erwarte. „Ich werde die rechtlichen und politischen Zusicherungen aufzeigen, von denen ich glaube, dass wir sie brauchen, um die Bedenken der Mitglieder des Parlaments zu zerstreuen.“

Wie könnte so etwas aussehen? Im Sekretariat des Rats erwägt man seit einigen Tagen einen ähnlichen völkerrechtlichen Kniff, mit dem man 2016 den Widerstand der belgischen Region Wallonien gegen das Freihandelsabkommen mit Kanada überwunden hat: ein sogenanntes Gemeinsames interpretatives Instrument. Dieser Text würde vereinfacht gesagt festlegen, wie das Brexit-Abkommen auszulegen ist. Doch es ist fraglich, ob May so einen völkerrechtlich verbindlichen, die Brexit-Bedingungen allerdings um kein Jota verändernden Text schon jetzt aus Brüssel mit nach Hause nehmen kann. Denn das würde die Begehrlichkeiten der Brexit-Anhänger in ihrer Partei auf weitere Zugeständnisse nur steigern.

„Man müsste jetzt verhandeln“

Vorerst also steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht zeitgerecht zum 29. März kommenden Jahres ein beschlossenes Abkommen gibt. Die 27 diskutierten daher in der Nacht auf Freitag den Stand ihrer Vorbereitungen auf ein No-Deal-Szenario. Seit Monaten bereiten sich die Mitgliedstaaten diskret auf dieses beiderseits schlechteste aller Ergebnisse der Verhandlungen vor. Und es zeigt sich: Der Entwurf rechtlicher Überbrückungsregeln, mit denen man garantiert, dass weiterhin Züge unter dem Ärmelkanal und Lebensmittel per Schiff durch ihn verkehren können, ist der einfache Teil dieser Übung. Die praktische Vorbereitung von Zoll-, Verkehrs- und sonstigen Behörden ist wesentlich schwieriger.

„Legen Sie Teevorräte an“, unkte ein EU-Botschafter am Donnerstag auf die Frage der „Presse“, welche Wirtschaftssektoren seiner Einschätzung nach noch nicht gut auf den No-Deal vorbereitet sind. „Ernsthaft gesprochen: Der erste Aspekt, der uns in den Sinn kommt, ist der Luftverkehr. Wenn man nichts unternimmt, dürfte dann kein britisches Flugzeug auf EU-Boden landen und umgekehrt.“ So ein Zusammenbruch des Luftverkehrs sei zwar durch ein provisorisches Abkommen mit London vermeidbar. „Aber wenn man wirklich an einen No-Deal glaubt, dann müsste man jetzt beginnen, darüber zu verhandeln.“ Für den Warenverkehr wären die Folgen eines No-Deal ähnlich fatal: „Wenn in Calais jeder Lkw, der auf die Insel soll, eine Viertelstunde kontrolliert werden muss, können Sie sich den Stau vorstellen“, sagte der Botschafter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2018)

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