Zu wenig Literatur in der Schule: "Wir müssen uns auf die Füße stellen"

(c) Clemens Fabry
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Autoren und Germanisten wollen die Literatur aus der Defensive holen. Sie fordern, dass das schon in der Volksschule Thema ist - und dass sich bei der Matura etwas ändert.

Die Einführung eines Unterrichtsfachs Lesen in der Volksschule, die Etablierung eines Literaturkanons, diverse Änderungen bei der Zentralmatura oder Literatur als Unterrichtsprinzip - mit solchen Vorschlägen wollen Germanisten und Autoren den Stellenwert der Literatur im Schulunterricht heben. Mit einer Enquete am Freitag wolle man die Literatur "aus der Defensive holen", hieß es im Vorfeld.

Mit der gemeinsam mit der IG Autorinnen Autoren organisierten Veranstaltung versuche man der derzeitigen Entwicklung gegenzusteuern, betonte der Vorsitzende der Österreichischen Gesellschaft für Germanistik, Werner Michler. "In den Debatten zwischen Schulverwaltung, Elternverbänden und Gewerkschaften werden wir sonst nur als Störfaktoren wahrgenommen."

Literatur in Bedrängnis

Die Literatur komme derzeit von verschiedenen Seiten in Bedrängnis, konstatierte Michler. "Das ist keine Verschwörung, sondern da treffen mehrere Faktoren aufeinander." Dazu zähle etwa die Standardisierung der Prüfungsformate wie etwa zuvorderst die Zentralmatura oder die "Testungsmanie" nach PISA mitsamt Verstärkung der Kompetenzorientierung. Letztere sei "per se ja nichts Schlechtes: Aber man testet nur die Lesekompetenz, nicht die literarische Kompetenz."

Dazu kommt noch die Orientierung an den sogenannten "Textsorten": "Man hat für die Zentralmatura oft sehr lebensferne Textsorten definiert (Empfehlung, Erörterung, Kommentar, Leserbrief, Meinungsrede, offener Brief, Textanalyse bzw. -interpretation, Zusammenfassung, Anm.) - dadurch erhöht sich der Druck auf die Unterrichtsrealität, sich eben nur diesen Textsorten zu widmen." Und schließlich würden die Schüler immer seltener mündlich in Deutsch maturieren, weil der Stoff dafür kaum mehr zu bewältigen sei. "Ganz generell ist die Fixierung des Unterrichts auf Zahlen, Noten und Tests auch ein jüngerer Prozess, was zum Abschied vom qualitativen Bildungsbegriff führt."

Auf die Füße stellen

Conclusio: "Wir müssen uns auf die Füße stellen", so Michler. "Wir glauben, dass die Literatur nicht nur ein abgehobenes Bildungsgut für das Gymnasium ist. Sie sollte eine Art Querschnittsmaterie sein bzw. ein Unterrichtsprinzip." Ähnlich sieht das auch der Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren, Gerhard Ruiss. "Wir wollen vor allem die Schule wieder öffnen für das Lesen, die Literatur und das Buch. In den letzten Jahren ist es immer um eine bessere technische Ausstattung von Schulen gegangen - uns geht es um Inhalte. Es ist uns egal, ob Bücher in elektronischen oder gedruckten Formaten angeboten werden. Die Inhalte sind es."

Ruiss will daher "weg vom Kompetenzgefimmel": "Lesen und Verstehen bzw. das Gelesene auch selbst zu nutzen, das lernt man über das Lesen, und zwar von Anfang an, nicht erst in der AHS." Dabei gehe es nicht um Fachliteratur: "Da sind wir mit Schulbüchern ohnehin gut ausgestattet. Das funktioniert über das literarische Lesen, das Erlebnislesen."

Lesen ab der Volksschule

Der Autor kann sich daher ein Unterrichtsfach Lesen in der Volksschule vorstellen. Spätestens ab der AHS-Oberstufe könnte das Fach "Deutsch" außerdem künftig "Deutsch und Literatur" heißen. "Und man könnte den Zuschnitt der Zentralmatura in Deutsch wieder ändern und diese nicht mehr zum Messen und Wägen verwenden, sondern für Kreativität öffnen."

Sinnvoll wäre es auch, von der einheitlichen Zentralmatura für alle Schultypen wieder zu einer stärkeren Individualisierung zu kommen. So könnten etwa die Anforderungen an BHS-Schüler andere sein als in der AHS. Generell stehe man der Standardisierung der Reifeprüfung kritisch gegenüber: "Die Zentralmatura reduziert die Sprache auf ein Kommunikationsmittel, sie ist aber auch ein Gestaltungsmittel."

Literaturkanon wie in Frankreich

Vorstellbar ist sowohl für Ruiss als auch für Michler die Einführung eines Literaturkanons ähnlich wie früher die Leselisten der einzelnen Lehrer. Dann könnten etwa bestimmte Kenntnisse vorausgesetzt werden. "Es gibt aber die große Kanonpanik, weil man fürchtet, dass dann nur diese Bücher gelesen werden und alle anderen nicht", so Ruiss. Das müsse aber nicht sein: "In anderen Ländern gibt es durchaus einen Kanon, wenn auch immer wieder wechselnd." Michler nannte etwa Frankreich oder Konzepte in mehreren deutschen Bundesländern.

Solch ein Kanon kann für Ruiss etwa epochenweise organisiert werden. "Wenn man etwa den Vormärz in Österreich behandelt, muss man nicht unbedingt 'Freiheit in Krähwinkel' lesen (von Johann Nestroy, Anm.), sondern auch andere Werke." Natürlich könne und solle man dabei auch einzelne Bücher nennen. "Aber als Beispiele, das muss nicht absolut gesetzt sein. Wenn man die Dystopien des 20. Jahrhunderts nimmt, zählt man etwa '1984' oder 'Brave New World' auf."

(APA)

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