Heißt es „zu“ oder „an“ Weihnachten?

Im deutschen Sprachraum kann man sich sowohl „an" Weihnachten als auch „zu Weihnachten" einen „Rinderbraten" oder eine „Rindsroulade" munden lassen, ohne grammatikalisch danebenzuliegen.
Im deutschen Sprachraum kann man sich sowohl „an" Weihnachten als auch „zu Weihnachten" einen „Rinderbraten" oder eine „Rindsroulade" munden lassen, ohne grammatikalisch danebenzuliegen.Tayto Park/WikiCommon/CC BY-SA 4.0
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Eine Forschungsgruppe aus Österreich, Deutschland und der Schweiz hat die Varianten der geschriebenen deutschen Grammatik unter die Lupe genommen - und die Ergebnisse in einer Online-Datenbank zugänglich gemacht.

Essen Sie zu Weihnachten Rindsbraten? Wenn dem so ist, dann wohnen Sie vermutlich in Ostösterreich. Im Westen des Landes wird das festliche Mahl jedenfalls gelegentlich – konkret von 26 Prozent der Bevölkerung – auch „an“ Weihnachten zubereitet, in der Schweiz (83 Prozent) und in Südwestdeutschland (75 Prozent) ebenso. Bevor Sie sich also über dem Gabentisch in einem Streit über die Grammatik verheddern, bedenken Sie, dass die deutsche Sprache selbst innerhalb von Landesgrenzen viele Varianten kennt.

Auch der eingangs erwähnte Rindsbraten ist nicht in Stein gemeißelt: In Österreich wird genauso häufig Rinderbraten, also mit er- statt s-Fuge, serviert. Ein Online-Nachschlagewerk mit mehr als 1300 Einträgen gibt nun Einblicke in die enorme Vielfalt der deutschen Standardsprache.

Neue Datenbank

Sieben Jahre lang arbeitete eine Forschergruppe aus Österreich, Deutschland und der Schweiz an dem Projekt „VariantenGrammatik“, das Expertisen aus Grammatik, Computerlinguistik und Variationslinguistik vereint. Neben regionalen Spezifitäten und Textbeispielen enthält die Datenbank auch Grafiken zur Auftretenshäufigkeit von Varianten sowie Frequenztabellen.

Abbildung VariantenGrammatik/CC BY-SA 3.0
Abbildung VariantenGrammatik/CC BY-SA 3.0Abb. VariantenGrammatik/CC BY-SA 3.0

Die grammatische Variation in der deutschen Standardsprache war ein Gebiet innerhalb der linguistischen Forschung, das lange Zeit kaum Beachtung fand, so der Grazer Germanist und Projektleiter Arne Ziegler vom Institut für Germanistik der Karl-Franzens-Uni. Seine Kollegin Anna Thurner ergänzt: „Ziel des Projekts war es, auf der Basis eines breiten Korpus von Zeitungstexten aus allen Ländern und Regionen des zusammenhängenden deutschen Sprachgebiets die grammatische Standardvariationen zu erfassen.“

Gleichberechtigte Varianten

Als Datengrundlage für die Variantengrammatik dienten die Online-Ausgaben von 68 regional verbreiteten Zeitungen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, die verschiedenen Großregionen zugeordnet wurden. „Die Variantengrammatik des Standarddeutschen ist eine Grammatik, die den Sprachgebrauch im gesamten deutschsprachigen Raum dokumentiert", zeigen sich die Wissenschafter überzeugt. Das Projekt wurde von Forschungsinstitutionen Österreichs, Deutschlands und der Schweiz mit insgesamt 1,2 Millionen Euro finanziert.

„Alle dokumentierten Varianten gehören zur deutschen Standardsprache und sind gleichberechtigt", betont Thurner. So gelte es auch zu akzeptieren, dass man sich im deutschen Sprachraum sowohl "an Weihnachten" als auch "zu Weihnachten" einen "Rinderbraten" oder eine "Rindsroulade" munden lassen kann, ohne grammatikalisch danebenzuliegen. Apropos danebenliegen - als Beilage passen Erdäpfelknödel oder Kartoffelklöße - so oder so. (APA/cog)

Lexikon

Die Variantengrammatik des Standarddeutschen ist eine Grammatik, die den Sprachgebrauch im gesamten deutschsprachigen Raum dokumentiert. Viele setzen Standarddeutsch mit der Bezeichnung Hochdeutsch gleich, doch das kann zu Missverständnissen führen: Mit dem Ausdruck Hochdeutsch bezeichnet man in der Linguistik die mittel- und oberdeutschen Dialekte; die Bezeichnung nimmt also auf bestimmte Regionen Bezug. 

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2018)

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