Ein Kampel für alte Zöpfe

Heinrich Heine sehnte sich danach, Maria Theresia ließ ihn untersuchen: der Wichtelzopf als gesellschaftspolitisches Phänomen. Wie habsburgische Kommissäre noch vor Kant die Antwort auf eine brennende Frage fanden: Was ist Aufklärung?

Was ist Aufklärung? Die Antworten, die Philosophen wie Kant, Horkheimer/Adorno und Foucault auf diese 1783 eher beiläufig in einer Fußnote der „Berlinischen Monatsschrift“ gestellte Frage formulierten, sind bekannt. In Vergessenheit geraten ist, dass habsburgische Kommissäre bereits zwölf Jahre zuvor, an einem denkwürdigen Septembertag des Jahres 1771, an der nördlichen Peripherie des zentraleuropäischen Imperiums im schlesischen Troppau (Opava) auf ebendiese Frage eine praktische Antwort fanden, deren Kurzformel lautet: Aufklärung ist „Auskampelung“.

Wie kam es, dass das gleißende Licht der Vernunft dermaßen in eine habsburgische Grenzregion vordrang und Kämmen zu einem aufklärerischen Akt werden konnte? In den Monaten davor hatte in den westlichen Provinzen eine große Erfassungsaktion, die sogenannte Seelenkonskription, ihren Anfang genommen, eine von militärischen und zivilen Beamten durchgeführte Volkszählung, die ein neues Rekrutierungssystem vorbereiten sollte und mit einer Nummerierung der Häuser verbunden war. Noch die abseitigst gelegenen Dörfer wurden von staatlichen Emissären aufgesucht, auch in jenem kleinen Gebiet Schlesiens, das nach dem österreichischen Erbfolgekrieg bei der Habsburgermonarchie verblieben war, wurde die Bevölkerung in vorgedruckten Tabellen verzeichnet. Im für die Wiener Zentrale verfassten Endbericht im November 1770 fand sich eine besondere Beobachtung: In Österreichisch-Schlesien würde sich das „Übel des sogenannten Wichtel-Zopfes“ zunehmend verbreiten. Über die Ursachen – Krankheit oder mangelnde Reinlichkeit – war man im Unklaren, die Angelegenheit war jedoch von militärischem Interesse, da zukünftige Soldaten aus möglichst gesunden Familien rekrutiert werden sollten.

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