Vor dem letzten Plenum bei der Klimakonferenz in Kattowitz gilt, was auch danach gelten wird. Das Schlussdokument ist kein Durchbruch, aber auch kein Einbruch – es ist Fortsetzung jahrzehntelanger Klimapolitik. Österreich ist dafür ein gutes Beispiel.
Ausgerechnet in der Kohlestadt Kattowitz waren die Erwartungen an die Klimakonferenz hochgeschraubt: Möglichst verbindlich hätten die Regeln werden sollen. Von Anfang an war eigentlich klar, dass dieses Bemühen zum Scheitern verurteilt gewesen ist. Die Total-Blockade durch die USA, Saudi-Arabien und Russland war weniger ein Ausdruck von Skepsis an wissenschaftlichen Erkenntnissen, als vielmehr von wirtschaftlichem Interesse. Dass die drei größten erdölproduzierenden Staaten wenig Einschränkungen für fossile Energien wollen, sollte nicht allzu sehr überraschen.
An welchen Nebenfronten auf Klimakonferenzen Scharmützel ausgetragen werden, zeigt der Streit um die Formulierung im Kattowitz-Schlussdokument, mit welcher der aktuelle wissenschaftliche Bericht erwähnt wird. Strittig war zwei Wochen lang, ob er „willkommen geheißen“ oder „zur Kenntnis genommen“ wird.
Bericht längst angenommen
Für das Gewicht des Reports ist dies allerdings völlig unerheblich. Denn erstellt wird er vom IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), das vor 30 Jahren von der Welt Meteorologie Organisation (WMO) und des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) eingerichtet worden ist. Das IPCC führt keine eigenen Studien durch, sondern wertet weltweit Tausende Arbeiten mit Klimabezug aus. Bevor ein Report abgeschlossen wird, werden sämtliche Schlussfolgerungen im Plenum diskutiert – im Plenum bedeutet, dass dabei alle Mitglieder von WMO und Vereinten Nationen teilnehmen. Keine Regierung (bzw. deren Delegierte) ist davon ausgenommen. Der jüngste Report (zusammengestellt von 91 Wissenschaftlern aus 40 Ländern) ist zustande gekommen, nachdem die Klimakonferenz 2015 in Paris das IPCC ersucht hatte, zu bewerten, welche Auswirkungen es hat, wenn die durchschnittliche Erwärmung 1,5 Grad Celsius bzw. zwei Grad nicht übersteigt. Dieser „Special Report“ ist Anfang Oktober 2018 angenommen worden.
Die übrigen Stolpersteine auf dem Konferenzgelände in Kattowitz haben ebenfalls wenig Überraschungsfaktor: Der Hinweis der Entwicklungs- und der Schwellenländer, dass der Ausstoß von Treibhausgasen der vergangenen Jahrzehnte nicht auf deren Konto, sondern auf das der Industrieländer gehe, ist nicht neu. Ebenso wenig, dass Entwicklungsländer von Industrieländern Geld fordern, um den klimaneutralen Aufbau der Wirtschaft stemmen zu können. Auch die unterschiedliche Transparenz, Vergleichbarkeit und Dichte der Daten, um das Auf und Ab von Treibhausgasen objektiv beurteilen zu können, ist schon länger Begleiter der Klimakonferenzen. Und schließlich sind die Reduktionsziele selbst seit jeher der Streitpunkt schlechthin.
Fahrlässiges Abwarten
Dass es keinen Durchbruch gegeben hat, ist also wenig überraschend. Angesichts der weit auseinderklaffenden Interessen kann es schon als Erfolg bezeichnet werden, dass in den Klimakonferenzen so ausgiebig über so lange Zeit verhandelt wird. Vor diesem Hintergrund scheint es – politisch betrachtet – beinahe logisch, dass alles zäh und langsam über die Bühne geht.
Allerdings: Angesichts dessen, was Wissenschaftler quer durch die Welt an Klimaänderung beobachten, ist dieser zähe, langsame Prozess, der in den Klimakonferenzen und dazwischen abläuft, nichts anderes als fahrlässig. Zugegeben, es gibt einige Bereiche, die noch nicht komplett erforscht sind. Aber die Faktenlage, mit der Wissenschaftler ihre Aussagen treffen, ist solide und robust. Und sie beobachten auch erste Anzeichen für eine Aufschaukelung (etwa beim Abschmelzen in der Arktis). Es sei ähnlich wie bei einer Krebserkrankung: „Wenn der Patient auf den allerletzten Beweis wartet, dann ist es für Heilung zu spät.“
Ein Satz vor 30 Jahren
Die politische Logik hat außerdem noch eine andere Seite, gerade für Österreich, das sich seit Jahr und Tag gerne als Vorreiter in Sachen Umweltschutz sehen will. Denn es gibt auch jenseits des Umweltschutzes viele Gründe, dem Ausstoß von Treibhausgasen immer engere Grenzen zu setzen. Weniger Treibhausgase heißt auch weniger Abhängigkeit von Öl und Gas und das ist nicht nur gut für die Ökologie, sondern auch gut für die Handelsbilanz.
Es mag schon leichter sein mitzuteilen, dass Österreich am Donnerstag der „High Ambition Coalition“ beigetreten ist, als konkrete Schritte. Derartiges kennzeichnet die Klimapolitik seit 30 Jahren: Kosmetische Ankündigungen und wenig Maßnahmen. Die Treibhausgase sind seither gestiegen, auch in Österreich.
Es lohnt sich, einen etwas sperrigen Satz aus dem Jahr 1991 noch einmal zu lesen: „Derzeit wird eine Veränderung der chemischen Zusammensetzung der Erdatmosphäre beobachtet, die hinsichtlich der Geschwindigkeit die erdgeschichtlich bekannten deutlich übersteigt.“ Entnommen ist er der „Bestandsaufnahme: Anthropogene Klimaänderungen – Mögliche Auswirkungen auf Österreich, mögliche Maßnahmen in Österreich“. Erstellt hat die Arbeit die österreichische Akademie der Wissenschaften, den Auftrag dazu haben Umwelt- und Wissenschaftsministerium (mit VP-Politikern an deren Spitze) eineinhalb Jahre zuvor gegeben. Seit damals ist das Problem auf dem Tisch, damals sind Kommissionen gegründet und auch konkrete, detaillierte Klimastrategien entwickelt worden, um die menschengemachte Treibhausgas-Belastung zu verringern – mit einem Bündel von Maßnahmen. Sie blieben graue Theorie, statt mit der Umsetzung zu beginnen wurde die nächste Studie, die nächste Strategie in Auftrag gegeben. Dieser politische Zugang Österreichs war kein Ausreißer, sondern der Normalzustand. Nahezu weltweit.
Ja, aber …
Und damit schließt sich der Kreis über die Jahrzehnte: Denn die „Ja, aber“-Taktik ist nicht geeignet, Verständnis in breiten Schichten zu erzeugen, um die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, die eine wirksame Klimapolitik erfordert. Wenn diese Übung auf nationaler Ebene nicht einmal ernsthaft versucht wird, dann darf es auch nicht verwundern, dass auf einer Klimakonferenz so wenig weitergeht.