Poetischer Protest gegen islamische Geistliche

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Eine Saudiaraberin wird bei einem TV-Poesiewettbewerb mit Kritik an radikalen Klerikern zum Star – und möglicherweise sogar zur Preisträgerin. "Immer heißt es 'haram' - verboten", klagt sie.

Wien/Abu Dhabi. Hissa Hilals Poem hört sich, zumindest für westliche Ohren, zunächst nicht besonders radikal an. Eine der Strophen aus ihrem Gedicht lautet zum Beispiel so: „Er spricht aus einer offiziellen, mächtigen Position, terrorisiert die Menschen und stellt allen nach, die Frieden suchen.“ Doch diese Zeilen, die die voll verschleierte Saudiaraberin bei dem Dichterwettbewerb „Dichter für Millionen“ im Kanal Abu Dhabi TV – dem Staatsfernsehen des Emirats – vor Millionen Zusehern vorgetragen hat, bergen einiges an Sprengkraft. Vor allem in politischer Hinsicht.

Die Mittvierzigerin und Hausfrau hat sich nämlich im Fernsehen die Freiheit genommen, islamische Geistliche zu kritisieren – insbesondere jenen saudiarabischen Kleriker Abdul Rachman al-Barrak, der mit seiner Fatwa, einem islamischen Rechtsgutachten, im Februar all jene mit dem Tod bedrohte, die ein Zusammentreffen beider Geschlechter in Bildungseinrichtungen und bei der Arbeit fördern.

Gegen radikale Prediger

Hissa Hilal lebt in Saudiarabien, einem Land, in dem Frauen nicht einmal Auto fahren dürfen. Auch Reisen ohne männliche Begleitung und die meisten Jobs sind Frauen verboten.

Als der reformorientierte König Abdallah im September am Roten Meer die erste Universität für Männer und Frauen eröffnete, reagierten viele Geistliche des Landes empört. Auch betraute der Monarch erstmals eine Frau mit einem Ministerposten, als er Nura al-Fajes zur stellvertretenden Bildungsministerin ernannte.

Die dichtende Hausfrau betont, ihr Protest gegen die Fatwa richte sich vor allem „gegen den Plan, einen Menschen wegen seiner Überzeugungen zu töten“. Das Zusammentreffen von Männern und Frauen am Arbeitsplatz sei „eine Notwendigkeit des täglichen Lebens“. „Immer heißt es ,haram‘ – ,verboten‘“, klagt Hilal. Dieser gefährliche Extremismus sei nicht mehr auf Saudiarabien und die Golfstaaten beschränkt, er breite sich auch auf Ägypten, Jordanien und Syrien aus, so die Dichterin.

Zeitgemäße Dichtkunst der Beduinen

Ihre unkonventionelle Kritik in Form des sogenannnten „Nabati“-Stils, der Dichtkunst der Beduinenstämme der Arabischen Halbinsel, hat ihr Zuspruch und Hass gleichermaßen eingebracht. Zuspruch von aufgeklärten Muslimen und europäischen Islamkritikern, von denen manche nun gar eine Nominierung Hilals für den Nobelpreis verlangen. Aber auch Hasstiraden hat es gehagelt: Auf der Website Ana al-Muslim, die auch Nachrichten des Terrornetzwerks al-Qaida verbreitet, wurden nach Berichten der saudiarabischen Tageszeitung „al-Watan“ bereits Todesdrohungen gegen die revolutionäre Dichterin ausgestoßen. Ein Nutzer des Forums der Seite fragte unverblümt nach Hilals Adresse. „Natürlich haben mein Mann, meine Familie und ich Angst“, sagt die vierfache Mutter.

Poesiefinale am Mittwoch

Mit ihrem couragierten Auftreten überzeugte Hissa Hilal jedenfalls auch die Jury der Show. Diese vergab 47 von 50 möglichen Punkten – das beste Ergebnis aller Kandidaten. Am Mittwoch könnte die Saudiaraberin ihren bisher größten Triumph feiern.

An diesem Tag findet das Finale von „Dichter für Millionen“ statt. Hilal zählt zu den fünf Finalisten und könnte den mit 1,3 Millionen Dollar dotierten ersten Preis gewinnen. Die Show, die im Durchschnitt 18 Millionen Zuseher hat, wurde 2006 von der Regierung von Abu Dhabi gegründet. In der diesjährigen, vierten Saison kämpfen 48 Teilnehmer aus zwölf arabischen Ländern um den Titel des besten „Nabati“-Dichters.

Zwar hat Hilal mit harter Konkurrenz zu rechnen. Denn auch einige der anderen Teilnehmer haben kritische Themen vorbereitet: Eine Poetin wird über Terrorismus sprechen, eine andere über die Rolle der Frau. Hilal hat angekündigt, dass ihr aktuelles Poem von den Medien handeln werde.

Ob die starke Frau aus Saudiarabien gewinnt oder nicht, ist mittlerweile vielleicht schon zweitrangig. Denn längst geht es nicht mehr nur um Poesie allein. Wann hat zuletzt ein Gedicht so viel Staub aufgewirbelt?

AUF EINEN BLICK

Die Saudiaraberin Hissa Hilal wagte bei einem Poesiewettbewerb, der im Fernsehen des Emirats Abu Dhabi übertragen wurde, ein ungewöhnliches Experiment: Sie rezitierte ein selbst gedichtetes Poem, in dem sie radikale islamische Kleriker kritisierte. Wegen ihrer beherzten Kritik erhielt sie bereits Todesdrohungen.

Am Mittwoch findet das Finale des Wettbewerbs statt. Hilal hat dabei gute Chancen, den mit 1,3 Mio. Dollar dotierten Hauptpreis zu gewinnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2010)

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