Vatikan: Kein Blick fürs Personal

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Das verheerende Management der Debatte rund um die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche stellt den „Regierungsstil“ von Papst Benedikt XVI. infrage.

Vielleicht lässt sich manches ja an jenen acht Monaten festmachen. Im Juli 1997 hatte der Bischof von Wisconsin in den Vereinigten Staaten an die römische Glaubenskongregation geschrieben: Mit einem gewissen Priester Lawrence Murphy gebe es Probleme, die „für die Kirche peinlich werden könnten“, was man denn tun solle.

Der Bischof musste acht Monate, bis zum April 1998, auf die Antwort aus dem Vatikan warten. Gut, Joseph Ratzinger und sein zweiter Mann, Tarcisio Bertone, als die obersten Wächter über die Reinheit der katholischen Lehre hatten eine Unmenge anderer Arbeit: tägliche Anfragen aus aller Welt, Be- und Verurteilung schräger Theologen, letzter Schliff an allen Dokumenten aus dem Vatikan bis hin zur theologischen Vervollkommnung von Reden des Papstes. Der Bischof von Wisconsin hatte die schmerzlichsten Punkte seiner Anfrage auch noch in Watte gepackt: Der sexuelle Missbrauch, den Pater Murphy an mehreren taubstummen Schülern einer katholischen Behindertenschule verübt habe – heute weiß man von 200 Fällen –, liege zwei und mehr Jahrzehnte zurück, schrieb er; außerdem habe man Murphy bereits als Priester suspendiert und zu seiner Mutter nach Hause geschickt.

Fest steht dennoch: Die Glaubenskongregation, ihren gewohnten, ruhigen, behördenmäßigen Geschäftsgang gehend und den parallelen, aber ganz anders getakteten Lauf der Welt ausblendend, hat die Sprengkraft dieses Dossiers nicht erkannt. Heute leiten Joseph Ratzinger und Tarcisio Bertone die gesamte Kirche; heute werden sie zu Getriebenen ihres eigenen Entscheidungstempos und ihres mangelnden Realitätssinns von früher. Aber abgesehen davon, dass beim Thema sexueller Missbrauch der Vatikan heute die oberste Alarmstufe ausgerufen hat, was hat sich geändert am Führungsstil von Benedikt und Bertone?

Bertone, der Selbstdarsteller

Was Ratzinger immer schon gefehlt habe, sagt ein alter theologischer Weggefährte, sei der „Blick fürs Personal“. Als Joseph Ratzinger im Jahr 2005 zu Papst Benedikt XVI. wurde, da zog er seine Mitarbeiter aus der Glaubenskongregation hinüber in die Kurie – aus Unsicherheit und aus Misstrauen gegenüber dem verfilzten, zum Teil intriganten, in jedem Falle recht eigenständigen Spiel des obersten Verwaltungsapparats der katholischen Kirche.

Ratzinger selbst, dessen ehemalige Behörde ja auch räumlich außerhalb der Vatikanmauern liegt, hatte sich schon die ganzen 23 Jahre vorher aus der Kurie möglichst ferngehalten. Nun setzte er ihr – von dieser Außenposition aus – Leute vor, denen er persönlich vertraute.

Während an der Professionalität seines Privatsekretärs Georg Gänswein kaum Kritik laut wird – höchstens an dem allzu „deutschen“ ruppigen Ton, den der Kirchenrechtler aus dem Schwarzwald pflegt –, gilt Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone als Schwachstelle in Benedikts Maschinerie.

„Benedikt schreibt Bücher, Bertone improvisiert“, dieser Satz geht als Kurzcharakteristik der aktuellen Kirchenleitung in Rom um. Dem 75-jährigen Bertone aus dem norditalienischen Piemont, der im Gegensatz zu seinen Vorgängern nie durch die kirchliche Diplomatenschule gelaufen ist, werden immer wieder fehlender „politischer Sinn“, fehlende Klugheit im Management und Mangel im vorausschauenden Denken nachgesagt – dafür eine ausgeprägte Selbstdarstellung.

Als GAU in einer Ansammlung von Pannen gilt aber immer noch das Management der „Williamson-Affäre“: Unter den vor einem Jahr rehabilitierten Lefebvre-Bischöfen befand sich ein Holocaust-Leugner. Bei dem auch intern recht heftigen Streit hat sich gezeigt, dass es in der Kurienführung – deren Koordinierungsbehörde das Staatssekretariat ist – knirscht und dass der Apparat nicht rund läuft.

Kein Korrektiv

Benedikt XVI. hat zwar die Kurie weiter internationalisiert; er hat sie als Spiegel der Weltkirche auch insofern neu sichtbar gemacht, als er die von seinem Vorgänger Papst Johannes Paul II. vor langer Zeit abgeschafften „Gesamtministerrunden“ wieder ab und zu einberuft. Er hat als obersten Glaubenshüter keinen Fach- und Büchertheologen installiert, sondern den Erzbischof von San Francisco, William Joseph Levada, der aus dem prallen amerikanischen Leben kam.

Aber fruchtbar geworden ist das alles nicht – jedenfalls nicht in dem Sinn, dass ein neuer Wind oder ein neuer Stil in die Kirchenleitung eingezogen wäre. Auch fehlt diesem Papst jenes intellektuelle Gegenüber, jener Ausgleich und jene Korrektur, die sich Johannes Paul II. schon recht früh ins Haus geholt hat.

Zu etlichen Themen ist vom beliebten Wojtyla-Papst der eher legere Satz überliefert: „Das geben wir am besten mal dem Ratzinger. Der erledigt das schon.“ Aber was soll Ratzinger/Benedikt heute selbst sagen?

ZUR PERSON

Tarcisio Bertoneist seit 2006 Kardinalstaatssekretär. Dem Kardinalskollegium gehört der 75-Jährige seit 2003 an, davor war Bertone u. a. Erzbischof von Genua sowie Sekretär der Glaubenkongregation. [EPA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2010)

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