Sängerknaben: Es darf weiter gesungen werden

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Im Herbst nimmt das Oberstufenrealgymnasium mit Musikschwerpunkt für Mädchen und Burschen seinen Betrieb auf. Ein Trimester ist gänzlich Konzerttourneen und der Stimmarbeit gewidmet.

WIEN. Die Tage von Gregor Eisenhut (13) sind klar strukturiert: Aufstehen kurz vor sieben Uhr, halb acht Schulbeginn, je vier Unterrichtseinheiten vormittags und nachmittags, dazu Stimmbildung, Chorprobe, Freizeit ab 18 Uhr. Dann stehen bis 21.30 Uhr Fußballspielen, „Räuber und Gendarm“, Schwimmen im hauseigenen Hallenbad – oder aber individuelles Lernen beziehungsweise Üben eines Instruments – auf dem Programm. Seit 2006 ist der heutige Teenager Wiener Sängerknabe, nun besucht er die vierte Klasse Unterstufe.

Neue Oberstufe

Bis dato hätte sich der musikbegeisterte Jugendliche überlegen müssen, wie es mit seiner Schulausbildung weitergeht. Denn für die Oberstufe mussten sich die allesamt männlichen AHS-Schüler eine andere Schule suchen. Im kommenden Herbst startet nun allerdings die erste fünfte Klasse des Oberstufenrealgymnasiums der Wiener Sängerknaben. Hier werden künftig Mädchen und Burschen unterrichtet, der Vokalschwerpunkt der Unterstufe wird fortgesetzt.

„Ich möchte sehr gerne etwas mit Musik weitermachen“, erzählt Eisenhut, „mein Interesse gilt allerdings mehr der Orchestermusik. Ich spiele Violine seit der Volksschule.“ Rund die Hälfte der Klassenkollegen Eisenhuts hat sich wie er entschieden. Sie werden weiterhin die Schule der Sängerknaben besuchen. Die großen Unterschiede zu ihrer Unterstufenzeit: In der Klasse werden auch Mädchen sitzen, man lebt nicht mehr im Internat und auch die große Tourneezeit ist vorbei, erläutert Schuldirektor Markus Blauensteiner.

Keine Schulschikurse

Der dicht gedrängte Schulalltag der Sängerknaben ergibt sich auch daraus, dass das Schuljahr für die Buben in Trimester gegliedert ist. Eines ist gänzlich Konzerttourneen und der Stimmarbeit gewidmet. So muss der Stoff eines Schuljahres in 26 Wochen absolviert werden. Semesterferien gibt es für die Knaben daher nicht, ebenso wenig Schulschikurse. Und während der Sommerferien verbringen die singenden Schüler drei Wochen gemeinsam in einem Heim in Sekirn am Wörthersee.

Schwarzes Loch

Nach diesen intensiven Jahren sind manche Schüler bisher „in ein schwarzes Loch“ gefallen, erzählt Direktor Blauensteiner. Seit Jahren denke man daher über eine Möglichkeit nach, eine Schulform bis zur Matura anzubieten. Nun ist das Kind geboren – und soll auch eine Lücke schließen. Bisher gab es keine Oberstufe mit einem derart ausgeprägten Vokalschwerpunkt. Hier sollen nun angehende Solokünstler und Chorsänger ihre Stimme bilden sowie sich auf ein Studium an einer Musikuni vorbereiten können.

Der Schwerpunkt liegt daher auch auf Klassik. Wer sich ausschließlich für Musical interessiert, ist hier also falsch, wobei Blauensteiner betont: „Wenn man klassisch ausgebildet ist und Musical singen will, funktioniert das wunderbar – umgekehrt nicht.“ Wer sich für einen Platz im Oberstufenrealgymnasium bewirbt, muss in jedem Fall einen Eignungstest absolvieren – auch die Burschen, die bereits bei den Sängerknaben gesungen haben. Bei Mädchen ist es von Vorteil, wenn sie bereits Chorerfahrung aufweisen können. Nötig ist außerdem ein HNO-Befund, der belegt, dass die Stimmbänder gesund sind. Schließlich sind hier pro Woche bis zu 17 Stunden musikbezogener Unterricht zu absolvieren – darunter Stimmbildung, Gehörbildung und Tonsatz, Stilkunde und Aufführungspraxis sowie Chorsingen.

Auch die Oberstufenschüler sollen einen Chor bilden, der zwar nicht kommerziell orientiert auftreten soll, aber sicher das eine oder andere Konzert geben wird. Überlegt wird auch, ob der Oberstufenchor, für den es noch keinen Namen gibt, ab und zu den Chor der Sängerknaben begleitet.

Die Räumlichkeiten, in denen die erste Oberstufenklasse künftig ihre Schultage verbringt, sind bereits fast fertig. Wie alle anderen Schulräume auch, sind sie in blau gehalten. Proberäume und alles, was mit Musik zu tun hat, sind grün gestaltet. Und grün ist auch der Ausblick, den die Schüler hier genießen, wenn sie aus dem Fenster schauen: der Blick über den Barockgarten, der öffentlich nicht zugänglich ist – und auch nicht für die Sängerknaben.

Fußball ohne Schreie

Sie finden aber im Augarten, den zwei Sportplätzen im Freien und in den Aufenthaltsräumen im Internat genügend Platz, um sich auszutoben. Am beliebtesten: Fußballspielen. Wobei den Burschen von der Volksschule an eingebläut wird, dabei womöglich wenig zu schreien – schließlich muss die Stimme geschont werden. Fernsehen ist heutzutage übrigens nicht mehr der große Freizeithit, erzählt Blauensteiner schmunzelnd, „außer es gibt Fußballübertragungen“. Wesentlich beliebter seien Play-Station-Portable-Spiele.

Untergebracht sind die Sängerknaben im Internat übrigens nicht klassen- sondern chorweise. Die vier Chöre bewohnen jeweils ein halbes Stockwerk und gestalten auch die Gangräumlichkeiten selbst. Schlafsäle sind tabu, gewohnt wird in kleinen Zimmer, jedes mit eigenem Bad. Die Zeit, welche die Buben auf dem Zimmer verbringen, ist aber minimal, erzählt Blauensteiner. Schließlich gibt es hier immer etwas zu tun.

SÄNGERKNABEN

www.wsk-schule.atUmgang mit Missbrauch. Nach Vorwürfen ehemaliger Sängerknaben wurde Mitte März eine Opfer-Hotline eingerichtet. Laut Angaben des Sängerknaben-Präsidenten Walter Nettig haben sich in der ersten Woche elf Personen gemeldet, deren Vorwürfe aber zumeist verjährt sind: überwiegend Gewalterfahrungen, sexuelle Übergriffe scheine es nur selten gegeben zu haben. Sollte ein aktiver Chormitarbeiter Kinder sexuell missbrauchen, werde er laut Nettig sofort entlassen und angezeigt.

Zur Seite der Oberstufe der Wiener Sängerknaben

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2010)

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