„Forever Film“: Die Kinoschätze, die man nicht streamen kann

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Das Internet von heute ist erschreckend geschichtslos: Ohne Filmarchive wären Höhepunkte des im 20. Jahrhundert prägendsten Massenmediums längst ausgelöscht. Eine Schau in Wien zeigt das – mit fast nur Einzigartigem.

Wenn man beide Augen zudrückt, wirkt die digitale Laufbildgegenwart wie ein Paradies uneingeschränkter Verfügbarkeit. Nicht nur auf Abonnenten von Streaming-Diensten macht das Online-Angebot an Filmen, Serien und Videoclips den Eindruck, unerschöpflich zu sein – und alles scheint immer nur ein paar Mausklicks entfernt. Doch die entscheidenden Wörter hier sind „alles“ und „scheint“: Schon der kürzeste kritische Blick offenbart die Bruchstellen der vermeintlichen Utopie.

Verfügbar ist nur, was marktgängig ist. Und der Filmgeschichte kommt diese Eigenschaft nur bedingt zu. Durchsucht man die Streaming-Mediatheken nach Filmen, die vor 1980 entstanden sind, dünnt sich ihr Repertoire drastisch aus. Netflix hat unlängst mit der Rekonstruktion von „The Other Side of the Wind“, einem unvollendeten Werk von Orson Welles, viel positive Berichterstattung geerntet. Doch Welles' Überklassiker „Citizen Kane“ lässt sich in Österreich immer noch nicht streamen – vom Großteil seines übrigen Œuvres ganz zu schweigen.

Online überlebt nur Marktgängiges

Als Filmarchiv ist das Internet ein Eisberg, der nur aus Spitzen besteht. Umso mehr wiegt heutzutage die Arbeit tatsächlicher Filmarchive: Sie verhindert, dass die kommerziell nicht verwertbaren Spuren des wohl prägendsten Massenmediums des 20. Jahrhunderts verwischt, von zeitgenössischen Bilderfluten überschrieben oder komplett ausgelöscht werden – und mit ihnen die Spuren, die besagtes Jahrhundert selbst auf diversen Trägermaterialien des Kinos hinterlassen hat. „Forever Film“, eine bis 9. Jänner laufende Schau des Österreichischen Filmmuseums, zeigt diese Leistung.

Freilich hat so eine selbstreflexive Sonderretrospektive etwas von Eigenwerbung. Doch wie Filmmuseumsdirektor Michael Loebenstein im Gespräch mit der „Presse“ erklärt, wollte er vor allem ins Bewusstsein rufen, wie sich das globale Filmgedächtnis (samt Erinnerungslücken) konstituiert. Den dienlichen, aber im Grunde nur formellen Anlass stellt das 80-Jahr-Jubiläum der internationalen Archivgemeinschaft Fiaf (Fédération Internationale des Archives du Film). Loebenstein lud 29 befreundete Institutionen ein, aus ihren Schatzkammern nach Gutdünken Beiträge auszuwählen. Erwünscht waren Spezielles und Einzigartiges.

Als besonders prägnantes Beispiel nennt Loebenstein das Familiendrama „Yadanabon“. Dessen Eigenheit springt einen schon beim Blick ins Programmheft an, wo es mit dem kryptisch anmutenden Hinweis „Birmanische Omtschechu“ versehen ist. „Omtschechu“ steht hierbei für „Originalfassung mit tschechischen Untertiteln“: Eine Kopie des Films landete nach einer Festivalvorführung im Jahr 1957 im tschechischen Filmarchiv – und geriet so zu einem unschätzbaren Dokument. Denn obwohl Burma in den 1950ern eine blühende Filmkultur aufwies, wurde ihr Ertrag nach einer langen Periode politischer Zensur fast vollständig zerstört.

Der Film, den Bergman unterdrückte

Der wohl bekannteste Regiename hier lautet Ingmar Bergman. Der Spionagethriller „Menschenjagd“ schien ihm so misslungen, dass er ihn Zeit seines Lebens zu unterdrücken suchte. Mit nachhaltigem Erfolg – sogar bei der großen Bergman-Schau vergangenen Februar im Filmmuseum. Nun dürfen sich Cineasten ihr eigenes Urteil bilden

Anders als „Yadanabon“ wurde „Menschenjagd“ in Form eines „Digital Cinema Package“ nach Wien geschickt. Auf dem Plakat zur Retrospektive türmen sich 35-mm-Filmdosen, doch ein nicht unbeträchtlicher Teil der analog gedrehten Filme, die sie zeigt, laufen digital. Keine Selbstverständlichkeit im Filmmuseums-Kontext: Loebensteins Vorgänger, Alexander Horwath, legte stets großen Wert darauf, Vorführungen ihrer historischen Rezeptionspraxis anzunähern – dazu gehörte auch die Übereinstimmung von Ursprungs- und Projektionsmedium. Er fühle sich diesem Bestreben weiterhin verpflichtet, so Loebenstein; es erscheine ihm jedoch nicht sinnvoll, sie unter aktuellen Bedingungen so konsequent weiterzuverfolgen. Vielen Institutionen stünden Filme nur noch als Digitalisate zur Verfügung: Deren grundsätzliche Ablehnung bringe mittlerweile große kuratorische Einschränkungen mit sich. Insofern spiegelt die Schau auch den technischen und ökonomischen Paradigmenwechsel im Archivwesen wider. Klar ist, dass die Bewahrung des sprichwörtlichen Filmerbes sowohl einen analogen als auch einen digitalen Ansatz fordert – schließlich werden viele zeitgenössische Kinowerke digital „geboren“.

In Österreich könnte man ein Zeichen setzen: Schon 2015 plante das Kulturministerium ein „Film Preservation Center“, 2017 sollte es in Betrieb gehen. Getan hat sich seither nicht viel. Loebenstein sieht die gegenwärtige Haltung der Politik zum Projekt als wohlwollend, aber „unklar“. Die Zeit drängt, denn die Speicher sind voll: „Wir spielen längst Tetris mit unseren Beständen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2018)

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