Dass die zweit- und drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone ihre Finanzen nicht in den Griff bekommen, wird uns noch Kopfzerbrechen bereiten.
Jetzt haben wir den Maastricht-Salat: Wegen der 2,4 Prozent Defizit 2019 droht Italien ein EU-Verfahren, während befürchtete 3,2 bis 3,5 Prozent Defizit in Frankreich kein Problem sind, wenn die Sache „einmalig“ bleibt, wie EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici – ein Franzose – neulich verlauten ließ.
Der Mann hat zweifellos Humor: „Einmalig“ war dort höchstens das Unterschreiten der Maastricht-Defizitobergrenze von drei Prozent im vergangenen Jahr. Seit Ausbruch der Finanzkrise hat Frankreich die Maastricht-Regeln sonst verlässlich Jahr für Jahr gebrochen. Die jüngsten Zugeständnisse an die Gelbwesten werden dafür sorgen, dass das auch in den kommenden Jahren so bleibt.
Da dürfen wir jetzt nicht nur gespannt sein, wie die mit der EU-Kommission im Clinch liegende italienische Regierung auf diese offenkundige Ungleichbehandlung reagiert, sondern auch darauf, wie sich das auf das Projekt Europa und auf den Euro auswirkt. Da führte zuletzt ja das Duo Angela Merkel/Emmanuel Macron Regie. Dass ein Führungsduo hier Substanzielles weiterbringt, dessen einer Teil mit Ablaufdatum versehen ist und dessen anderer Teil beim Versuch, die beachtlichen strukturellen Schwächen seines Landes abzubauen, unter dem Druck der Straße einknickt – darauf sollte man keine hohen Beträge wetten.
Jedenfalls macht die französische Gelbwesten-Wende ein beunruhigendes, bisher aber eher zugedecktes Faktum sichtbar: Während ganz Europa sorgenzerfurcht nach Italien (130 Prozent Schuldenquote, mehr als zehn Prozent Arbeitslosigkeit, schwaches Wirtschaftswachstum) blickte, wuchs in Frankreich (knapp 100 Prozent Schuldenquote, mehr als neun Prozent Arbeitslosigkeit, deutlich verfehlte Wachstumsziele) der nächste Krisenpatient heran. Ein wichtiger Unterschied: Im Gegensatz zu Italien ist in Frankreich auch die Leistungsbilanz tiefrot.
In beiden Ländern sind die Probleme strukturell und würden massive Reformen erfordern. Macron ist, im Gegensatz zur italienischen Populistenregierung, angetreten, diese zu liefern. Etwa auf dem Arbeitsmarkt, wo sich die Kluft zwischen den kaum kündbaren Arbeitnehmern mit Altverträgen und der wachsenden Zahl an Jungen in prekären Beschäftigungsverhältnissen immer mehr vergrößert – was nicht wenig zur explosiven Stimmung im Land beiträgt. Die Hoffnung, dass Macron die festgefahrenen Strukturen auf Vordermann bringt, können wir nun aber wohl begraben.
Für die EU im Allgemeinen und für die Eurozone im Speziellen ist es wohl keine besonders gute Nachricht, wenn die (nach dem Brexit) zweit- und drittgrößte Volkswirtschaft gemeinsam in die Krise schlittern. Und das am Höhepunkt eines Konjunkturzyklus, dem jetzt eigentlich nur der die Probleme verstärkende Abschwung folgen kann. Spielraum bei der Verschuldung gibt es jetzt jedenfalls nur noch wenig. Die EZB, die ihr Pulver weitgehend verschossen hat, wird auch nicht mehr in der Lage sein, reformfaule Regierungen wesentlich zu unterstützen. Und echte strukturelle Staatssanierungen sind in westlichen Demokratien wohl nur unter wirklich großem Krisendruck möglich.
Dafür sorgt schon der in Europa zum wirtschaftspolitischen Mainstream gewordene Semi-Keynesianismus: In der Krise antizyklisch investieren, wie das der Altmeister angeregt hat, aber, im Gegensatz zu den Empfehlungen des Altmeisters, prozyklisch agieren in der Hochkonjunktur.
Es wäre schön, von einem dieser Mainstream-Ökonomen einmal schlüssig die naive Frage beantwortet zu bekommen, wieso Länder wie Italien, Frankreich, aber auch Griechenland, die dieses Mantra vorleben, in allen relevanten Daten (Wachstum, Arbeitslose etc.) viel schlechter dastehen als solche wie etwa Deutschland oder Schweden, die ihre Budgets nach der viel geschmähten schwäbischen Hausfrauenart managen. Aber das ist wohl zu unwissenschaftlich. Und eine Zeit lang lassen sich die in Italien und Frankreich wieder einmal zutage getretenen Schwächen der Theorie ja tatsächlich mit viel Gelddrucken zudecken. Leider aber nicht ewig.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2018)