Nächtliche Einigung im Handel: Rechtsanspruch auf Vier-Tage-Woche kommt

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Nach fünf Verhandlungsrunden ist der Kollektivvertrag für gut 400.000 Handelsangestellte fix. Künftig werden die Geschäfte zu Weihnachten um eine Stunde früher schließen.

Es war eine schwere Geburt: Mehr als zwölf Stunden, von Montagvormittag bis spätnachts, verhandelten die Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Handel. Es ging um gut 400.000 Gehälter, aber auch um die Wahrung des Weihnachtsfriedens. Die Drohung der Gewerkschaft mit weiteren Betriebsversammlungen und gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen kurz vor dem Fest dürfte geholfen haben, die Arbeitgeber in der fünften Verhandlungsrunde am Tisch zu halten. Kurz vor Mitternacht in der Nacht auf Dienstag war die Einigung über den neuen Handels-Kollektivvertrag fix. Arbeitgeberverhandler Peter Buchmüller sagte im Anschluss nüchtern zur APA, er habe "alles auf den Tisch gelegt, was ich hatte".

Wie dieses "alles" aussieht - und was von fünf Verhandlungsrunden, Streit und Streikdrohung dieses Jahr übrig bleibt. „Die Presse“ liefert erste Antworten, eine Vermessung der Branche und ihrer Baustellen.

1 Worauf konnten sich die Sozialpartnern einigen?

Im Schnitt gibt es über alle Gehaltsstufen hinweg laut der ersten Rechnung der Gewerkschaft für die Handelsmitarbeiter ein Plus von 2,83 Prozent. Die Gehälter der gut 400.000 Angestellten sollen um mindestens 2,5 Prozent steigen, die Einstiegsgehälter um 3,2 Prozent. „Der Dreier ist für uns sehr wichtig“, hatte die Verhandlungsleiterin der Gewerkschaft GPA-djp, Anita Palkovich, Montagvormittag nochmals betont - ihre Gegenüber auf Arbeitgeberseite gingen aber nicht vollends darauf ein. Arbeitgeber-Chefverhandler Buchmüller sagte mehrmals, für ihn gebe es zwar noch Spielraum nach oben. Aber ein dreiprozentiger Abschluss für die gesamte Belegschaft stehe für ihn außer Frage.

Außerdem konnten sich die Verhandler noch auf ein 8-prozentiges Plus bei der Lehrlingsentschädigung und einen Rechtsanspruch auf die Vier-Tage-Woche (beu 10 Stunden Normalarbeitszeit (und die Altersteilzeit und auf längere Anrechnungszeiträume von Karenzzeiten einigen - in diesen Punkten hatte es aber schon in den vergangenen Runden keine Probleme mehr gegeben.

Außerdem: Am 24. Dezember werden die geschäfte künftig um 13 Uhr, statt wie bisher um 14 Uhr schließen. Die Regelung soll ab dem kommenden Jahr gelten. "Das bringt für alle Angestellten im Handel eine Stunde mehr Familienfreiezit", "sagt Buchmüller.

2 Welche Relevanz haben die Kollektivvertragsabschlüsse des Handels?

Keine geringe. Niemand verhandelt einen größeren einheitlichen Kollektivvertrag als die Sozialpartner im Handel. Neben 400.000 Angestellten und 15.000 Lehrlingen laufen parallel die Gespräche für nahezu 200.000 Arbeiter. Diesen Mittwoch steht dort die nächste Runde an. Es gilt die Faustregel: Geht an einem Verhandlungstisch etwas schief, stocken die Gespräche auch am anderen - insofern sieht es nach dieser Nacht auch für die Handelsarbeiter gut aus. Laut KMU Forschung Austria sind 23 Prozent der österreichischen Firmen schwerpunktmäßig im Handel tätig und beschäftigen ein knappes Viertel der Beschäftigten in der Privatwirtschaft.

Die Presse

3 Welchen Mindestlohn bekommt eine Kassiererin im Supermarkt?

Jeder vierte Handelsangestellte bekommt weniger als 1700 Euro brutto, sagt die Gewerkschaft der Privatangestellten GPA-djp. Der Einstiegslohn liegt bisher bei 1586 Euro – oder im neuen, parallel laufenden Gehaltsschema mit seiner flacheren Lohnkurve bei 1636 Euro. Im Einzelhandel, also in den Supermärkten, Boutiquen und Möbelhäusern Österreichs, arbeiten 49 Prozent der Mitarbeiter Teilzeit. 73 Prozent sind Frauen. Vor allem mit Blick auf die untersten Gehälter forderte die Gewerkschaft mehrmals ein Plus deutlich über der aktuellen Inflation.

4 Wie geht es der Branche?

„Der klassische Einzelhandel ist in einer sehr heiklen Situation“, sagt Handelsforscher Wolfgang Richter von Regioplan. Umsatzzuwächse gebe es bestenfalls in Höhe der Inflation, die Margen seien niedrig einstellig. Viele großen Unternehmen hätten ihre Expansion auf der Fläche gestoppt und mühten sich mit der wachsenden Onlinekonkurrenz ab, die bis zu 25 Prozent vom Geschäft macht. Die Forderung der Arbeitnehmer nach einem Plus von bis zu 3,5 Prozent nennt er „aus deren Sicht höchst verständlich“ – aber einen Beschleuniger für den Umbruch. Das sieht auch Marktforscher Andreas Kreutzer so. „Der Handel hat im Gegensatz zur Industrie keine Möglichkeit, seine Produktivität zu steigern. Die Benya-Formel funktioniert im Handel nicht.“ Er verstehe die Forderung nach einem höheren Lohnniveau auch. Aber die Branche habe ein Grundproblem: „Das Qualifikationsniveau ist vergleichsweise gering.“ Der Handel ziehe nicht die besten Köpfe an. „Die Attraktivität des Berufs nimmt ab.“ Den Trend belegt die Statistik: Aktuell werden im Handel 14.890 Lehrlinge ausgebildet, 2012 waren es noch 18.800.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2018)

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