Ungarn: Opposition gegen Orbán findet zu neuem Schwung

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Die Demonstrationen der letzten Tage gegen das „Sklavengesetz“ haben die Opposition vereint. Aber sie konnte nur wenige Tausend Menschen mobilisieren, und das ländliche Ungarn bleibt der Anti-Orbán-Bewegung fremd.

Budapest. „Wir sind jetzt zusammen, wir bleiben zusammen, und wir haben entschieden, dass wir Regeln brechen müssen.“ So fasste der Chef der ungarischen Sozialisten (MSZP), Berthalan Tóth, die Ereignisse der letzten Tage zusammen. Mit anderen Oppositionsführern stand er auf einer improvisierten Rednertribüne vor der Zentrale des ungarischen Staatsfernsehens.

Bei bitterkalten Minusgraden hatten mehrere Tausend meist junge Leute den langen Weg zur Fernsehzentrale (gut 15 Minuten Fußweg von der Endstation der Straßenbahn) auf sich genommen, um dort eine zweite Nacht in Folge zu demonstrieren. Drinnen harrten noch immer mehrere Parlamentsabgeordnete aller Oppositionsparteien aus, die vergeblich seit mehr als 24 Stunden versuchten, dort eine Liste politischer Forderungen verlesen zu lassen.

Es war der Höhepunkt einer fünftägigen Protestserie, in der die Opposition wie ausgewechselt schien. Die stets zerstrittenen Klein- und Kleinstparteien hatten zusammengefunden, im Parlament wie draußen auf den Straßen. Sie hatten ein Thema gefunden: eine Reihe umstrittener sozialpolitischer Entscheidungen der Regierung von Viktor Orbán, die viele verärgerten.

Sie haben ein Schlagwort gefunden, das diese Politik emotional überhöhte: „Sklavengesetz“ (in Wahrheit ein „Überstundengesetz“). Und sie hat einen neuen, provokativen, radikaleren Stil gefunden. Im Parlament stürmten ihre Abgeordneten das Pult des Vorsitzenden, um ihn daran zu hindern, die entscheidende Abstimmung zu dirigieren. Sie haben Orbán im Plenarsaal mit Trillerpfeifen ins Gesicht gepfiffen.
Da war ein Gefühl des Erwachens in den Reihen der Regierungsgegner von ganz rechts (Jobbik) bis ganz links („Demokratische Koalition“). Sie waren gewohnt, jede Wahl zu verlieren. Nun hofften sie, einen Umschwung auf den Straßen herbeizuführen.

Einer ihrer Wortführer, der unabhängige Abgeordnete Ákos Hadházy, schien zu ahnen, dass es schwer wird. „Das Regime“ – sprich: die Regierung – „wird heute nicht fallen“, sagte er. „Aber etwas hat begonnen“. Den Schlüssel zum Erfolg, liege „auf dem Land“. Er rief in die Menge: „Schwärmt aus in die Provinz, redet mit den Menschen, besucht die dortigen Müllmedien“ – gemeint waren die regierungsnahen Regionalzeitungen. Die Provinz war der Schwerpunkt der Reden an jenem Abend, und es trat auch eine Delegation vom Lande auf.

Darin liegt nur ein Problem. Der neue, radikale Ansatz, „Regeln brechen“, zieht nicht in den ländlichen Regionen. Den Durchschnittsbürgern, die nicht grundsätzlich oppositionell eingestellt sind, aber auch nicht unbedingt Orbán-Anhänger sind, missfällt der provokative Stil. „Die haben doch sogar den Weihnachtsbaum vor dem Parlament beworfen“, sagt István, ein älterer Wirt unweit des TV-Hauptquartiers. Er wählt sozialistisch. Doch er mag diesen neuen Haudegen-Stil nicht.
Tatsächlich konnte die Opposition in Budapest bei keiner der Demonstrationen mehr Menschen mobilisieren als bei ähnlichen Anlässen in der Vergangenheit. In der Provinz kamen überhaupt nur wenige Hundert Menschen.

Dass es in den Reihen der Opposition keine einzige Figur gibt, der die Bürger zutrauen würden, das Land regieren zu können, ist womöglich ihr größtes Problem. Die neue Einheit könnte die Oppositionsparteien immerhin zu besseren Wahlergebnissen bei der Europawahl führen, wenn man sich auf gemeinsame Kandidaten einigen sollte. Es wäre ein Novum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2018)

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