Die Populistenregierung hat in letzter Minute ihren Budgetplan korrigiert und ein EU-Verfahren verhindert. Sie bleibt aber unter EU-Sonderbeobachtung. Die Pirouetten um den Etat haben die Bruchstellen in der Koalition offen gelegt.
Rom/Wien.Bis zur letzten Minute hatte Rom mit seinen teuren Ausgabenplänen für Nervenkitzel an internationalen Märkten gesorgt. Nur wenige Stunden vor der EU-Deadline lenkte Italiens Regierung dann ein: Der Haushaltsentwurf für 2019, mit dem die Populisten-Koalition Brüssel die Stirn geboten hatte, wurde nachgebessert. Der Brief von Italiens Premier Giuseppe Conte traf gerade noch rechtzeitig ein, um am Mittwoch ein EU-Defizitverfahren zu verhindern.
Italien will nun seine Neuverschuldung 2019 auf 2,04 Prozent des Bruttoinlandsproduktes begrenzen. Ursprünglich hatte die Regierung 2,4 Prozent in Aussicht gestellt. Brüssel hatte darin eine Verletzung der Euro-Stabilitätskriterien gesehen, da Italien durch die Maßnahmen möglicherweise bald an der Drei-Prozent-Grenze gekratzt hätte. Schulden, die das Land nicht finanzieren kann: Die Gesamtverschuldung liegt bei 132 Prozent, und der Wirtschaftsmotor stockt (2019 soll die Wirtschaft um nur ein Prozent wachsen).
Ewiges Sorgenkind
Ein EU-Defizitverfahren hätte die fragile Glaubwürdigkeit der italienischen Wirtschaft endgültig zerstört, Panikverkäufe italienischer Staatsanleihen hätten gedroht – und somit eine mögliche Zahlungsunfähigkeit. Dieses Horrorszenario ist vorerst abgewendet, Rom will etwa zehn Milliarden weniger ausgeben. Lieblingsprojekte der Populistenregierung wie Pensionsreform und Grundeinkommen wurden verschoben.
Das EU-Sorgenkind bleibt aber weiter unter Sonderbeobachtung. Deutlich warnte EU-Vizepräsident Valdis Dombrovskis: „Die auf dem Tisch liegende Lösung ist nicht ideal, sie bietet keine langfristige Lösung für die wirtschaftlichen Probleme in Italien.“ Im Jänner werde man prüfen, ob sich Italien an die Abmachungen hält. In Rom versuchte Conte indes den Waffenstillstandspakt als Erfolg zu verkaufen: „Wir haben nicht auf unsere Reformen verzichtet.“ Doch so wirklich überzeugend klang er nicht.
Die Pirouetten rund ums Budget haben die vielen Bruchlinien in der Lega-Fünf-Sterne-Regierung sichtbar gemacht: Conte versteckt nur noch schwer seinen Frust als machtloser Marionetten-Premier, der im Schatteten seiner mächtigen Stellvertreter, des Lega-Chefs Matteo Salvini und Fünf-Sterne-Anführers Luigi Di Maio, steht. Druck auf Conte übt aber auch die proeuropäische Fraktion der Regierung aus: Wirtschaftsminister Giovanni Tria (im Hintergrund wohl auch Staatschef Sergio Mattarella) überzeugten Conte, beim Budget einzulenken – und Salvini sowie Di Maio mit Rücktritt zu drohen. Direkt redet Tria mit den beiden angeblich gar nicht mehr.
Salvini und Di Maio hatten bis vor wenigen Tagen noch einen „demütigenden Kniefall vor Brüssel“ abgelehnt. Die Stimmung im Land dürfte sie aber letztlich überzeugt haben: Laut Umfragen wuchsen zuletzt die Zweifel am Budgetplan, 62 Prozent der Befragten äußerten sich „besorgt“ über die Folgen.
Dass jetzt die Fünf-Sterne-Bewegung mit der Verschiebung „ihres“ Grundeinkommens den Kürzeren zieht, dürfte intern für Friktionen sorgen. Salvini pocht seit Wochen öffentlich auf Abstriche bei der Mindestsicherung, was bei Di Maio gar nicht gut ankommt. Der Fünf-Sterne-Chef fühlt sich vom omnipräsenten Innenminister ohnehin in den Schatten gedrängt – was auch Umfragen widerspiegeln: Die Lega liegt bei 32 Prozent (bei der Wahl im März erhielt sie 17 Prozent), während die „Grillini“ auf 25 Prozent stagnieren (im März 32 Prozent).
Salvini auf Partnersuche
Auffallend oft kommt es in der Koalition zu Reibereien: Gestritten wird über Umweltpolitik, Sicherheitspakete, Korruptionsbekämpfung. Vorbei sind die Zeiten, als Salvini und Di Maio einander kumpelhafte Whatsapp-Botschaften schickten. Jetzt vergeht offenbar kein Tag ohne Schreiduelle: So soll Di Maio immer wieder wutschnaubend in Salvinis Büro stürmen – um vom Innenminister dann mit norditalienischer Süffisanz zurechtgewiesen zu werden. Beobachter erzählen von Beschimpfungen wie „Trottel“ und „Lügner“ – und von Conte, der immer schlichten muss.
In Rom erwartet man, dass die Regierung höchstens bis zur Europawahl im Mai zusammenhält. Salvini ist offensichtlich auf Partnersuche. Auffallend zarte Annäherungen gab es zuletzt an den traditionellen Verbündeten: Silvio Berlusconis „Forza Italia.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2018)