Verdacht auf Pseudologia fantastica: Was den Reportagenfälscher Claas Relotius mit Schriftstellern wie Joseph Roth und Karl May verbindet.
Pseudologia phantastica nannte der Psychiater Anton Delbrück 1891 das außergewöhnliche Verlangen, Geschichten zu erfinden und diese als Realität auszugeben. Letzteres ist hier entscheidend: Nur wenn der besessene Geschichtenerzähler nicht zwischen Realität und Erfindung unterscheidet (vor anderen nicht und manchmal nicht vor sich selbst), wird er zum Betrüger, Hochstapler – oder zum Kranken. Die Diagnose: Pseudologie, gern auch Münchhausen-Syndrom genannt.
Krank, betrügerisch oder beides – das ist der Journalist Claas Relotius jedenfalls, der jahrelang für den „Spiegel“ preisgekrönte Reportagen schrieb, die zu großen Teilen erfunden waren. Vielleicht ist an ihm ein guter Schriftsteller verloren gegangen. Von solchen gibt es in der Literaturgeschichte einige, deren Kreativität davon profitierte, dass sie die Grenze zwischen Realität und Erfindung nicht ziehen wollten – oder konnten.