Irlands Kirche hat die Kontrolle verloren

Irlands Kirche Kontrolle verloren
Irlands Kirche Kontrolle verloren(c) Teresa Zötl
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In ihrer einstigen Bastion kämpft die Kirche heute um das Überleben. Die Zahl der Gläubigen schrumpft.

Dublin. Die radikalste Form der Abwendung ist das Auslachen. Auf den vor zehn Tagen veröffentlichten Hirtenbrief von Papst Benedikt XVI. reagierte die ebenso angesehene wie besonnene „Irish Times“ mit einem Witz: „Ein Flugzeug gerät über dem Atlantik in technische Probleme. Nach einiger Zeit hören die Passagiere die Durchsage des Piloten: ,Wenn Sie links aus dem Fenster schauen, sehen Sie unten ein kleines Boot. Von dort spreche ich zu Ihnen.‘“ Der Papst, so die Zeitung, gleiche diesem Kapitän.

Das Schreiben des Oberhauptes der katholischen Kirche nach dem Skandal um jahrzehntelangen Kindesmissbrauch ist in Irland nicht gut aufgenommen worden, und das zeigt, wie sehr die Kirche die Kontrolle verloren hat. Eine Institution, die lange mit Irland gleichgesetzt wurde, kämpft heute um ihr gesellschaftliches Überleben.

Der Kirche in Irland schadet die jahrzehntelange Vertuschung der tausenden Verbrechen immens. „Die Hauptanliegen im Umgang mit Fällen des Kindesmissbrauchs waren die Bewahrung des Schweigens, das Vermeiden eines Skandals, der Schutz des Ansehens der Kirche und die Bewahrung ihres Besitzes“, heißt es im Murphy-Report. Aktiv verstrickt in diese „omertà“ war der Staat, in dem die katholische Kirche traditionell ein gewichtiges Wort mitredet.

Erziehung in Priesterhand

Der blutige Kampf um die Unabhängigkeit von Großbritannien (1919–1921) hatte dafür gesorgt, dass die heutige Republik Irland überwiegend katholisch ist, während die sechs protestantischen Provinzen der Insel bis heute zum Vereinigten Königreich gehören. Der neue Staat räumte der katholischen Kirche in seiner ersten Verfassung 1937 eine „besondere Position“ ein, die Kirche übernahm die Hauptrolle in Erziehungs-, Sozial- und Gesundheitswesen. Bis heute werden 92 Prozent aller Grundschulen von der Kirche betrieben.

Die Kirche mischte überall mit und sorgte für extrem konservative Kultur-, Sozial- und Familiengesetze. Bis 1968 hatte Irland eine Zensur, bis 1996 waren Scheidungen verboten und bis heute steht in der Verfassung ein Abtreibungsverbot. Kirchliche Würdenträger diktierten Regierungen quasi die Gesetze. Jahrzehntelang hatte Irland den höchsten Kirchenbesuch der Welt: 1973 nahmen 91% der Gläubigen am Sonntag an der Messe teil, heute sind es immer noch 47%. Etwa 61% fordern, dass die Kirche die Schulen an den Staat abgeben soll.

Wie sehr und wie grundlegend sich die Iren von der Kirche entfernt haben, sieht man auch in der öffentlichen Debatte: Ungezählt sind die Berichte von Opfern, zahllose (Selbst-)Hilfegruppen sind entstanden, aber auch Initiativen wie „Count Me Out“, die Anleitungen für den Kirchenaustritt gibt.

Die Kirche scheint nicht verstehen zu wollen, und eine Mischung aus Arroganz und Uneinsichtigkeit hält die Wut vieler Iren am Kochen. Der päpstliche Nuntius verweigert bis heute die Zusammenarbeit mit Untersuchungsbehörden, der Vatikan gibt angeforderte Unterlagen nicht heraus und auf lokaler Ebene ist wenig Umkehr der Kirchenoberen zu erkennen.

So forderte ausgerechnet der Bischof von Ferns, dessen Diözese wegen besonders schlimmer Zustände Anlass für den ersten Untersuchungsbericht (2005) gegeben hatte, Anfang März die Gläubigen auf, „finanziell etwas zu den drückenden Kosten der Entschädigungszahlungen beizutragen“. Als ihm eine Welle der Empörung entgegenschlug, erwiderte er: „Das ist nicht die Antwort, die ich von einem Christen erwarte.“

Staat zahlt an Opfer

Dabei hat die Kirche längst ihre Schäfchen im Trockenen: 90% der versprochenen Zahlungen an Missbrauchsopfer von insgesamt 1,3 Mrd. Euro hat sich der Staat aufbürden lassen. Die Gläubigen laufen ihr aber davon. Der Theologe Vincent Twomey meint: „Die irische Kirche hat sich einzigartig widerstrebend gezeigt, in eine echte Diskussion mit echten Lösungen einzutreten. Dazu bräuchten wir eine Änderung von Herz und Verstand.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2010)

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