Finnland/Lappland

Der Schnee leuchtet in Levi

Erhabenes Ereignis: Aurora Borealis.
Erhabenes Ereignis: Aurora Borealis. (c) Panu Jyrä
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In Kittilä landen, in Levi wohnen, die kurzen Tage und langen Nächte viel draußen verbringen. Doch die wahre Sternstunde ist die, in der sich ein Nordlicht zeigt.

Im Hochwinter ist das Zeitfenster denkbar kurz. Spät bricht der Tag in Lapplands Norden an, kippt er auch schon in die blaue Stunde, die sie hier „Kaamos“ nennen, und verlischt sogleich im Dunkel der polaren Nacht. Aber der Schnee leuchtet. Verstärkt von den Sternen darüber, so klar, dass die Milchstraße wie die Südost-Tangente über den schneebeladenen Wald führt. Die Stirnlampe tut das Ihre, damit die Schneeschuhe ihren Weg durch das Labyrinth aus Bäumen finden.

Um fünf Uhr am Nachmittag ist das Outback so belebt (sofern man hier oben am 67. Breitengrad von belebt sprechen kann) wie um neun Uhr am Abend. Stapf, stapf, weiter, Fichten, Fichten, Fichten, Abzweigung. Verloren steht die Kleingruppe im Polarwald, allein zwischen Bäumen, Wegtafeln, Elchen, Luchsen, Wölfen, Bären . . . da knackt es in den Ästen, staubt der Schnee und zack, wumm, ist der Motorschlitten auch schon wieder vorbei.

Eine Nacht im Glasiglu im Wald erhöht die Chance auf Nordlicht-Sichtung
Eine Nacht im Glasiglu im Wald erhöht die Chance auf Nordlicht-SichtungPrima Reise

Einen Kilometer und ein paar Schilder mit originell klingenden, nicht deutbaren Namen weiter gleiten Langläufer an der Schneeschuheinheit vorbei, als Anzeiger von naher Zivilisation. Hoffnung auf ein Gasthaus, eine Ravintula, gibt schließlich ein Trupp Fatbiker, der sich mit den dicken Reifen im Schnee derart abmüht, dass man ihm nicht zutraut, sich allzu weit von der Verleihstation wegbewegt zu haben. Und die liegt direkt bei der Talstation von Levi, dem größten Skizirkus Finnlands.

Nachbarschaft auf Distanzen

Bis zum Horizont ist die Gegend gleichförmig – und beeindruckt dennoch. Der Nordenwesten Finnlands mutet leer an, noch leerer als der Rest des dünn besiedelten Landes. Vereinzelt liegen die Gehöfte und Datschen/Chalets zwischen den Bäumen, als ob die Nachbarn bewusst den weitesten Abstand zu einander gesucht hätten. Hier draußen waren und sind heute noch viele auf sich selbst gestellt, Distanzen groß und nur mit Geländewagen und dem Motorschlitten bewältigbar. Die Samen, denen das Land ursprünglich gehört hat, ziehen heute noch weitere Schleifen, haben Häuser gebaut, in denen sie sich niedergelassen haben, und Weidegründe, wohin sie den Tieren folgen, und nur mehr selten eine Khote, ein Zelt, aufschlagen.

Der Wald prägt das Leben hier, den Charakter der Menschen, manche sagen die Seele des Landes. Sie müssen sich im Winter mit Tiefsttemperaturen, Schneemassen und Dunkelheit, im Sommer mit morastigen Böden und Mückenschwärmen arrangieren. Minus 30 Grad im Jänner, dem kältesten Monat, sind nicht ungewöhnlich. Doch die Locals sind für solche Bedingungen traditionell gut gerüstet, mit Wolle, mit Fell, mit Goretex in Schichten, und auch viel in Bewegung an der schneidend frischen Luft. Die Touristen, die sich solche Bedingungen vor Reiseantritt nur schwer vorstellen können, versorgen sich im Sportgeschäft. Davon gibt es in einem modernen Wintersportresort wie Levi mehr als genug.

Rentiere sind die Lebensgrundlage der Menschen im Norden Finnlands
Rentiere sind die Lebensgrundlage der Menschen im Norden FinnlandsPrima Reisen

Selten, aber doch fallen die Temperaturen noch weiter in den Keller. Am 28. Jänner 1999 wurden in Pokka bei Kittilä im Zuge einer vierzehntägigen Kälteperiode minus 51,5 Grad gemessen. Tritt solches ein, dürfen Schüler zu Hause bleiben. Keiner steigt mehr ins Auto. Und wenn doch, wird der Motor nicht abgestellt, weil die Gefahr zu groß ist, dass der Diesel gefriert, während man bloß kurz einmal anhält. „Pakkanen“, ein schöner Name für „harten Frost“ und „Paukkupakkanen“ für den „krachenden Frost“. Der Zustand, wenn die Äste unter der Last des Eises brechen, der Wald im Gebälk ächzt und der Schnee bizarre Formen gefriert. Ein Gesetz sieht vor, dass jedes Haus mit einem Holzofen ausgestattet ist, für den Fall, dass die Versorgung mit Strom, Öl und Gas einmal nicht funktioniert. Vernünftig, und der Atmosphäre zuträglich: Offenes Feuer und Schwedenöfen machen ein Mökki, eine Hütte, richtig gemütlich.

Rentier für Sieger am Berg Levi

In der laut WHO „saubersten Luft in der bevölkerten Welt“ und der glasklaren Sicht von oben auf dem Berg Levi wirkt es so, als würde der ausgerollte Teppich aus Fichten und eingeschneiten Wasserstellen ein paar Wellen schlagen: Erhebungen, die nicht viel mehr als 300 oder 400 Meter erreichen und den Levi mit seinen 531 Metern schon zu einem stattlichen Berg machen (wobei: der Haltitunturi in der nordwestlichsten Ecke Finnlands misst 1324 Meter).

Lockruf der Wildnis

Dennoch ist der Levi ein recht ordentliches Trumm mit abgeflachter Glatze, auf dem 28 Skilifte Platz haben und zumindest eine Piste so steil ist, dass auf ihr Weltcupslaloms ausgetragen werden. Wer hier gewinnt, eröffnet mit Vorschusslorbeeren die Skisaison und bekommt ein Rentier geschenkt. Heuer vergrößerte, wieder einmal, Marcel Hirscher seine Herde: Zu Ferdl und Leo gesellt sich nun Mr. Snow hinzu, sie wohnen bei einem Bauern.

Lang musste Finnland seinen Beamten ein höheres Gehalt zahlen, um sie für den Umzug in den hohen einsamen Norden zu motivieren. Doch auf andere, Stadtflüchtige, naturverbundene Geister, übte die Abgeschiedenheit der Wälder, der Tundra, der Hochflächen immer schon eine gewisse Anziehungskraft aus. Weil Holzmachen, Beeren sammeln und einkochen, Pilze sammeln und trocknen, Hunde züchten, Touristen bewirten und durch die Botanik guiden ihnen eine Alternative zum Office-Alltag bot.

Skiresort nach alpinem Vorbild

Seit einigen Jahren boomen das Geschäft und der Ausbau da oben regelrecht, werden Blockhäuser, Hotels und Infrastrukturen errichtet, kaufen sich nicht nur Finnen, sondern auch die Nachbarn – Russen und Norweger – zweitwohnsitzend ein, wie groß manche Liegenschaft wirklich ist, erkennt nur eine Drohne. Parallel dazu entwickelt sich die Fremdenverkehrssaison und dehnt sich mit Aktivitäten immer weiter aus. Dass Helsinki eine Drehscheibe für Flüge nach Asien geworden ist, spielt eine sehr große Rolle.

Schlittenhunde und Rentiere drehen mit Touristen Runden durch den Wald
Schlittenhunde und Rentiere drehen mit Touristen Runden durch den WaldPrima Reisen

Unterhalb des Skibergs Levi und etwas außerhalb der Kreisstadt Kittilä verdichtet sich das subpolare Leben zu einem touristischen Gesamtereignis. Schaut man nicht so genau auf die stilistischen Details, mutet das Dorf fast alpin an – Wintersportorte weltweit vermeiden offensichtlich allzu große Exotik: Holzbalkone, Satteldächer, Schnitzereien, Schilder mit Ski-Rental und Après-Ski-Bar, ein bisschen Winterwonderland und ein bisschen Santa Claus für die vielen weit gereisten Touristen, die das so nicht kennen. Die Restaurants, Cafés, Pubs, Hotels, Geschäfte und Sportausstatter wirken vertraut, auch in ihrer Leistung, nur dass hier eben Rentiersteak, Lachsfilet und picksüßer Heidelbeersaft auf der Karte stehen. Und man als Andenken in den vielen Souvenirshops 3-D-Bilder mit Nordlichtschlieren und Bieröffner mit abgeworfenem Rentiergeweih kaufen kann.

Die Gehege und Wälder sind schließlich voll von Letzterem, weil die Tiere jedes Jahr Enden abwerfen. Anders als die mächtigen Elche, die sich selten blicken lassen, sind sie seit jeher Nutztiere. Herden mit mehreren Tausend Rentieren sind Lebensgrundlage vieler eingesessener Familien, sie folgen ihnen, heute allerdings motorisiert. Manche samische Familie, die nahe den bekannten Tourismuszentren in Lappland lebt, bedient diesen auch, indem sie Touren mit dem Rentiergespann durch den tief verschneiten borealen Wald anbietet. Und danach Kuchen, heißen Tee und ein paar Informationen über die samische Kultur serviert, sie von dem von den Rentieren bestimmtes Leben erzählen, den Traditionen, ihrem jodelähnlichen Gesang (Joik), ja und auch über die lange Diskriminierung sprechen, die sie in Skandinavien und Russland erfahren haben.

Himmlische Erscheinung

Schlittenfahrten, ob mit Rentieren Hunden oder Motor, sind Aktivitäten, derentwegen Touristen in das winterliche Lappland kommen. Vor allem aber hofft jeder, zumindest einen kurzen Moment lang einer Aurora Borealis ansichtig zu werden. Als „Revontuli“ sprich „Fuchsfeuer“ bezeichnen die Samen diese Himmelserscheinung. Als Epiphanie eines mythisch-kosmischen Tieres, faszinierend und unheimlich zugleich. Es ist eine Vorstellung, die sie auch mit den anderen polaren indigenen Gesellschaften teilen.

Manchen Besuchern ist das Glück des Nordlichts nur einmal im Leben hold, ein Erlebnis, das sich einbrennt, wenn sich farbige Schlieren auf dem kalten Nachthimmel zeigen, ein magisches Licht. Manchmal kommen die Farben auch erst durch lange Kamerabelichtung aufs Bild, intensiver, als sie das eigene Auge erfasst. Von September bis April zeigt sich dieses optische Phänomen infolge von Partikeln, die durch solare Winde auf der Erdatmosphäre auftreffen. Erforscht werden Nordlichter im Sodankylä Geophysical Observatory der Universität von Oulu unweit von Kittilä. Über ihre Wahrscheinlichkeit informiert ein Aurora Alert Service. Untersuchungen ergaben übrigens, dass Nordlichter Geräusche erzeugen. Zu Gehör bekommt man sie nicht, aber das Wissen verstärkt den Eindruck vermutlich, wenn man in einem der zahlreichen Glasiglus liegt und durch die Decke tatsächlich eine sieht.

Überhaupt ist das so eine Sache mit den fantastischen Erscheinungen hier: Oben am Berg Levi erzeugen Wind, Schnee und Eis einen bizarren Skulpturengarten: Biegen Bäume zu Sauriern, polstern Zäune zu Wällen. Da drüben, war das nicht ein eingeschneites Mammut?

LEVI, LAPPLAND

Anschauen: Mehr über das Leben der Samen erzählt Ante Aiko im Sami-Land anhand einer großen Ausstellung drinnen und draußen.

Ausprobieren: Nächtliche Schneemobilsafari mit Einkehr in einer urigen Hütte: 30 Kilometer durch die Fjälllandschaft, Wälder, zugefrorene Seen und Moore.

Schlafen/Schauen: in den Levi Glas- iglus auf der Rückseite des Levi Fjäll.

Lappland Winterreisen: Rundreisen, Winter(sport)urlaub und Blockhäuser bei Prima Reisen in Wien, T.: 01/505 02 22, www.primareisen.com

Compliance: Die Reise erfolgte auf Einladung von Prima Reisen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2018)

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