Jagd auf das Phantom von Gatwick

Der Flugbetrieb in Gatwick südlich von London wurde am Freitag schrittweise wieder aufgenommen. Allerdings bleiben Spezialeinheiten der Armee dort stationiert.
Der Flugbetrieb in Gatwick südlich von London wurde am Freitag schrittweise wieder aufgenommen. Allerdings bleiben Spezialeinheiten der Armee dort stationiert.(c) APA/AFP/BEN STANSALL (BEN STANSALL)
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Die Suche nach den Unbekannten, die tagelang den Flughafen London Gatwick lahmgelegt hatten, blieb vorerst erfolglos. Das Chaos im europäischen Flugverkehr war enorm.

London. Erstmals seit 15 Jahren haben Einheiten der britischen Armee auf den Flughäfen des Landes demonstrativ Stellung bezogen. Anfang 2003 zuletzt hatte die Regierung von Tony Blair im Vorfeld der Intervention im Irak Panzer und Infanterie auf den Flughafen Heathrow verlegt; ein Manöver, das später als Propagandaspektakel Kritik erntete.

Nun, am Wochenende vor Weihnachten, ist es eine Drohne – ein kleines, ferngesteuertes Flugobjekt – die das Land in Atem hält. Mehrere davon hatten seit Mittwochabend die Behörden des Airports London Gatwick genarrt und zur Einstellung des Flugbetriebs auf dem zweitgrößten Flughafen Großbritanniens und achtgrößten Europas geführt. Während die Polizei noch am Freitag nach den unbekannten Tätern suchte, sagte Transportminister Chris Grayling: „Wir haben keinen Hinweis, dass der Vorfall in üblichem Sinne mit Terrorismus verknüpft ist.“ Freitagabend musste der Flugbetrieb in Gatwick erneut gestoppt werden - wegen einer Drohne, schon wieder.

Erstmals waren zwei solcher Flugobjekte am Mittwoch um 21.03 Uhr Ortszeit nahe der Runway gesichtet worden. Der Flughafen wurde gesperrt. Für Drohnen besteht in Großbritannien rund um Flughäfen, als noch außerhalb des eigentlichen Flughafengeländes, eine anschließende Flugverbotszone von bis einem Kilometer Abstand, sie dürfen auch nicht höher als 400 Fuß (122 Meter) fliegen.

„Jemand treibt ein übles Spiel“

Wer immer die Drohnen in Gatwick steuerte, schien sich mit den Behörden einen Spaß zu machen. Kaum hatten die Sicherheitskräfte am Donnerstag das Außengelände abgesucht und den Flughafen auf eine Wiederaufnahme des Betriebs vorbereitet, tauchten wieder Flugobjekte auf. „Jemand treibt ein übles Spiel mit meinem Flughafen“, klagte Gatwick-Chef Stewart Wingate. Zugleich betonte er den Ernst: „Es ist eine gezielte Aktion, die den Zweck hat, den Flughafen lahmzulegen und in den Tagen vor Weihnachten maximale Störung zu verursachen.“

Erst mit Heranziehung der Armee, die mit mobilen Radars, Scharfschützen und Hubschraubern anrückte, wurde ab Donnerstagabend die Kontrolle zurückgewonnen. „Wir haben nun mehr Optionen“, sagte Steve Barry von der Polizei der Grafschaft Sussex, „einige raffiniert, andere weniger raffiniert“. Neben Militärsystemen zur elektronischen Störung der Drohnen zählte dazu auch die Möglichkeit, sie abzuschießen.

Nach mehr als 30 Stunden, in denen 655 Flüge abgesagt wurden und 120.000 Passagiere betroffen waren, konnte Freitagfrüh der Flugbetrieb langsam wieder aufgenommen werden. Tausende Reisende wurden entweder auf entfernte Airports wie Edinburgh, Amsterdam und sogar Paris umgeleitet oder versuchten selbst, über Land dem Chaos zu entkommen. Tickets für den Eurostar-Zug von London nach Europa wurden heißer gehandelt als Karten fürs nächste Champions-League-Finale.

Die Opfer der größten Flugverkehrsstörung seit dem Vulkanausbruch in Island 2010 erduldeten ihr Leid mit britischem Gleichmut. Hunderte berichteten über soziale Netzwerke über ihre Erlebnisse, viele sprachen von einem möglichen Vorgeschmack auf einen harten Brexit. Die Flughafenleitung organisierte so gut es ging Hotelunterkünfte, zur Kinderunterhaltung wurde auch ein Santa Claus durch die Terminals geschickt.

Täterprofil weiter unklar

Die Behörden waren indes weiter ratlos, wer die Täter gewesen sein könnten. Minister Grayling sprach von einer „neuen Art von Anschlag“, meinte aber, es sei „unwahrscheinlich“, dass dahinter ein fremder Staat stehe. Auf Theorien, wonach radikale Umweltschützer verantwortlich seien, erwiderte er: „Wir wissen es nicht. Aber wir schließen nichts aus.“

Solange die Unklarheit besteht, wird die Unsicherheit andauern. Das Militär brachte Gerät in Position, das im Nahen Osten gegen die Terrororganisation IS verwendet worden war. Die sogenannten Drone Killers wurden zuletzt bei der Befreiung der irakischen Stadt Mossul verwendet und erlauben es, Fluggeräte elektronisch zum Absturz zu bringen sowie die Piloten zu finden. Die Jagd nach diesen ging aber vorerst weiter – und so auch die Angst weiter um.

LEXIKON

Der Bedarf nach Anti-Drohnen-Waffen wurde zuletzt akut, weil Islamisten und Militärs Drohnen etwa für Aufklärung und Bombenabwürfe zu nutzen begannen. Mit Gewehren und Flugabwehrraketen sind sie kaum bis nicht zu bekämpfen. Man stört sie elektronisch („Jamming“), auf dass die Steuerverbindung abreißt; andere Systeme arbeiten u. a. mit Netzen, Schrotmunition, Wasserwerfern, Lasern und „Killerdrohnen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2018)

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