Eine Hausarztordination in einem Spital

(c) Stanislav Kogiku
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Die Allgemeinmedizinische Akutordination im AKH entlastet täglich die Notfallambulanz. Was vor zwei Jahren als Pilotprojekt begann, könnte zu einem Zukunftsmodell in größeren Städten werden. Ein Lokalaugenschein.

Wien. Ganz schön was los hier, an diesem Sonntagnachmittag vor Weihnachten. Für eine Spitalsambulanz aber nichts Außergewöhnliches – überraschend sind höchstens die Beschwerden, deretwegen die Patienten gekommen sind: Ein älterer Herr mit einer Atemwegsinfektion beispielsweise, eine junge Frau mit Fieber und Grippesymptomen, ein australischer Tourist mit einer eitrigen Augenentzündung, ein Kind mit einer kleinen Schnittwunde. Insgesamt warten rund 25 Personen auf ihre Behandlung, manche sind auch nur wegen eines Verbandswechsels oder einer Infusion hier.

Aber gehören diese Patienten nicht eigentlich in eine Hausarztordination? Ja, in einer solchen sind sie auch. Allgemeinmedizinische Akutordination (AMA) heißt die Einrichtung auf der Ebene 6b (grüne Aufzüge) im AKH, die Ende 2016 eröffnet wurde und mit großzügigen Öffnungszeiten (auch an Wochenenden und Feiertagen) eine Versorgungsalternative zur chronisch überlasteten Notfallambulanz bietet.

Ordination in einem Spital

Aufgebaut ist sie wie eine gewöhnliche Ordination: Anmeldung gleich beim Eingang, riesiger Warteraum für rund 70 Personen, zwei Untersuchungszimmer. Die Wartezeit entspricht mit 30 bis 60 Minuten in etwa jener beim Hausarzt. Viele der Patienten wurden von den diensthabenden Ärzten der AKH-Notfallambulanz überwiesen. Einige sind aber auch von sich aus gekommen, weil sie aus den Medien oder von Bekannten von der AMA gehört haben – was durchaus erwünscht ist.
„Wir sind im Prinzip eine gewöhnliche Hausarztordination – mit dem Unterschied, dass sie in einem Spital untergebracht ist“, sagt Ernest Zulus. Er ist der Leiter des Wiener Ärztefunkdiensts (Notrufnummer: 141), der das Pilotprojekt betreibt und nicht nur das komplette Equipment (Computer, medizinisches Material, E-Card-System etc.) bereitstellt, sondern auch die Dienstpläne organisiert. Zwei bis drei Dienste pro Monat versehen die 41 Ärztinnen und Ärzte des Funkdiensts – unter der Leitung der Währinger Hausärztin Yvetta Zakarian. Das Interesse der Mediziner ist groß, Dienste zu besetzen, stellte bisher kein Problem dar.

Das AKH wiederum stellt die Räume (in unmittelbarer Nähe der Notfallambulanz) und die Infrastruktur (EKG, Blutlabor-Testmöglichkeit etc.) zur Verfügung, also die beiden Behandlungsräume und einen Arbeitsplatz in der Leitstelle der Nachbehandlung für Unfallchirurgie.
An Werktagen hat die Einrichtung von 16 bis 22 Uhr geöffnet und ist mit einem Allgemeinmediziner und einem Medizinstudenten besetzt. An Wochenenden und Feiertagen hat sie zwischen 10 Uhr und 22 Uhr geöffnet. Bis 18 Uhr sind dann zwei Allgemeinmediziner und eine diplomierte Pflegekraft im Dienst. 2017 wurden fast 21.400 Patienten betreut, für dieses Jahr bahnt sich eine ähnliche Zahl an.

An einem Wochenendtag werden im Schnitt 120 Menschen versorgt. Der größte Vorteil für das Gesundheitswesen, der sich aus der AMA ergibt: Nur 7,5 Prozent der Patienten, die die Notfallambulanz des AKH besuchen, benötigen eine fachärztliche Untersuchung. „Der Rest kann in unserer Hausarztordination effizienter behandelt werden“, sagt Zulus. „Hier liegen die Kosten pro Patientenbesuch bei 34 Euro. Wären sie in die Notfallambulanz gegangen, hätte jeder Besuch 150 Euro gekostet.“ Damit sei die AMA für die Krankenkassen ökonomisch sogar noch erfolgreicher, als man es ursprünglich erwartet hat – und leiste eine wertvolle Arbeit bei der Entlastung der Notfallambulanz, in der es zu deutlich kürzeren Wartezeiten gekommen sei.

„Ich glaube, das ist ein Best-Practice-Modell für Großstädte. Im Spital geben wir pro Tag für einen Patienten in Österreich rund 850 Euro aus. Ein Behandlungsfall in der niedergelassenen Praxis kostet uns 58 Euro“, sagte auch der Chef des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, Alexander Biach, als er vor Kurzem die Einrichtung im Wiener AKH besuchte.

Für ihn ist die AMA also ein Paradebeispiel, wie sich in Österreich in Ballungszentren Allgemeinmedizin speziell für Menschen mit akutem Bedarf, aber ohne eigenen Hausarzt und für Patienten außerhalb der klassischen Öffnungszeiten von Ordinationen organisieren ließe.

„Verschwendung von Steuern“

„Wir müssen weiterhin daran arbeiten, Patienten, die die Infrastruktur eines Spitals nicht benötigen, in den niedergelassenen Bereich umzuleiten“, sagt Zulus. Unnötige Behandlungen in einer Spitalsambulanz seien eine „Verschwendung von Steuergeld“ – das gelte auch für Rettungsfahrten. Denn viele Patienten würden auch bei leichteren Beschwerden immer noch die Notrufnummer 144 wählen, anstatt beim Ärztefunkdienst (141) anzurufen. Zur Verdeutlichung: Eine Rettungsfahrt kostet etwa 700 Euro, ein Einsatz des Ärztefunkdiensts 150 Euro.

„Und wenn man bedenkt, dass ein Patientenbesuch in der AMA nur 34 Euro kostet, sollte man sogar über eine Gebühr für Notfallambulanzen in Spitälern nachdenken“, sagt Zulus. „Nicht, um damit Geld zu verdienen, sondern nur wegen des Lenkungseffekts. Denn selbst bei einer geringen Gebühr von beispielsweise fünf Euro könnte man erreichen, dass die Patienten vermehrt niedergelassene Ärzte aufsuchen und die überfüllten Spitalsambulanzen entlastet werden.“

Auf einen Blick

Entlastung für Notfallambulanz. Die Allgemeinmedizinische Akutordination (AMA) im AKH ist eine Kooperation zwischen dem AKH und dem Ärztefunkdienst Wien. An Werktagen ist sie von 16 Uhr bis 22 Uhr mit einem Allgemeinmediziner und einem Medizinstudenten besetzt. An Wochenenden und Feiertagen hat sie zwischen 10 Uhr und 22 Uhr geöffnet. Dann arbeiten dort bis 18 Uhr zwei Allgemeinmediziner und eine diplomierte Pflegekraft.

Eröffnet wurde die AMA Ende 2017, in den vergangenen beiden Jahren wurde sie jeweils von rund 20.000 Patienten aufgesucht. An einem Wochenendtag werden durchschnittlich 120 Personen versorgt. Die Kosten pro Patientenbesuch liegen bei 34 Euro. Wären die Patienten – wie früher – in die Notfallambulanz des AKH gegangen, hätte jeder Besuch 150 Euro gekostet.

Die AMA soll das Hausarztsystem aber nicht ersetzen, betonen die Betreiber. Es handle sich bei der Einrichtung um eine Ordination für allgemeinmedizinische Akutfälle, die sonst die – chronisch überlastete – Notfallambulanz aufgesucht hätten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2018)

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