Nudging – besser schubsen als strafen

„Nudging“ in Frankreich: Die Zeichnung führt zum Mülleimer.
„Nudging“ in Frankreich: Die Zeichnung führt zum Mülleimer.PHILIPPE HUGUEN / AFP / picturedesk.com
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Das IHS baut ein Team für Verhaltensökonomie auf, das die Regierung berät. Weil Verbote und finanzielle Anreize oft nicht wirken, sollen Bürger anders motiviert werden.

Wien. Immer Ärger mit diesen Eltern. Sie wissen genau, wann die Kindergärten schließen, aber sie holen ihren Nachwuchs trotzdem ständig zu spät ab. Also führte man in Israel Geldstrafen für undisziplinierte Abholer ein. Der „Erfolg“ ließ nicht auf sich warten: Die Eltern kamen noch später. Warum? Ihre intrinsische Motivation war verdrängt. Das Zu-spät-Kommen hatte einen Preis bekommen. Und so viel war es ihnen wert. Sie hatten kein schlechtes Gewissen mehr. Danke, Staat! Das hast du schlecht gemacht.

Schon seit den 1960er-Jahren sammelt die Verhaltensökonomie solche Beispiele. Sie zeigen: Menschen handeln oft nicht ökonomisch rational. Deshalb schießt eine Politik, die allein auf Strafen und finanzielle Anreize setzt, regelmäßig am Ziel vorbei. Aber das Irrationale hat System. Auch wie unser Verhalten in immer ähnlicher Weise vom Modell des Homo oeconomicus abweicht, ist längst erforscht. Und damit auch, wie man uns besser motiviert. Nur in die Politik muss die Botschaft noch dringen. Zu diesem Zweck hat das IHS (Institut für Höhere Studien) nun ein Kompetenzzentrum für Verhaltensökonomie auf die Beine gestellt.

Mit im Boot ist Sophie Karmasin, Motivforscherin und Familienministerin in der vorigen Regierung. Aber auch Clemens Wallner, Experte für Wirtschaftspolitik in der Industriellenvereinigung. Die IV liefert eine Anschubfinanzierung für drei Jahre. Der andere Teil kommt vom Finanzministerium, mit dem zwei Projekte in Vorbereitung sind. Zum Start arbeiten vier IHS-Mitarbeiter Vollzeit für „Insight Austria“, auf zehn will Institutschef Martin Kocher sie aufstocken. Eine kleine Truppe also, verglichen etwa mit den 60 Personen, die im britischen Team arbeiten.

Auch die USA, Deutschland, die Niederlande und skandinavische Staaten haben schon länger solche „Nudging“-Einheiten. Die „kleinen Schubser“, die sie aufgrund ihrer Forschung vorschlagen, sollen Bürger zum gewünschten Verhalten führen, ohne neue Verbote oder Geldgeschenke aus dem Steuertopf. Durch die passende Formulierung in Briefen, die richtige Reihenfolge (gesunde Gerichte zuerst auf der Speisekarte) oder Voreinstellungen (wer etwas nicht ausdrücklich ausschließt, stimmt zu). Auch als Hilfestellung dafür, eigene Vorsätze wirklich umzusetzen, statt sie eine Woche nach Silvester schon wieder einschlafen zu lassen.

Strafen wirken nicht

Anlassfälle gibt es auch in der heimischen Politik genug. Ob Registrierkasse, Kindergartenpflicht, Alkoholverbot am Praterstern oder Arbeitslose, die rasch einen neuen Job annehmen sollen: Immer wieder zeigt sich, dass Strafen nicht wie gewünscht wirken und der Vollzug zu viel kostet. Und umgekehrt werden finanzielle Anreize wie Papamonat oder Bildungskarenz weniger stark genutzt als erhofft. Wie wir Bürger anders zu bewegen sind, zeigt die Verhaltensökonomie. Wobei nicht jedes Studienergebnis aus Amerika oder Australien eins zu eins auf Österreich umlegbar ist. Vieles ist „von der Kultur abhängig“, wie Kocher betont – und daher vor Ort zu überprüfen.

Die ersten Aufgabenstellungen: Die Uni Wien will die Drop-out-Raten drücken. Für die Wirtschaft ist interessant, wie sich Vertrauen als Standortfaktor messen und stärken lässt. Eltern von Schülern dürfen auf die Ergebnisse eines Kooperationsprojekts mit Sydney gespannt sein: Wie bringt man Jugendliche dazu, das Lernen für die Prüfung nicht bis zum letzten Moment hinauszuschieben?

Was dabei bisher herauskommt, verrät das IHS lieber nicht. Denn wer über natürliche Experimente berichtet, die gerade im Laufen sind, greift unfreiwillig in sie ein. Aber die Endergebnisse und die abgeleiteten Maßnahmen will das Team sehr wohl publik machen – und damit Kritikern des „Nudging“ den Wind aus den Segeln nehmen.

Es kann ja aus liberaler Sicht durchaus fragwürdig sein, mündige Bürger mit psychologischen Tricks zu etwas zu bewegen, was der Staat für ihr Wohlverhalten hält. Aber der Stachel in diesem Vorwurf lässt sich ziehen: wenn die Exekutive sauber transparent macht, wie sie uns in welche Richtung schubst. Zumal sich gezeigt hat: Die Anstöße wirken auch dann, wenn alle über sie Bescheid wissen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2018)

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