Syrien: Geplanter US-Abzug lässt Spannungen wachsen

Auf dem Vormarsch. Protürkische Milizen nähern sich der Stadt Manbidsch.
Auf dem Vormarsch. Protürkische Milizen nähern sich der Stadt Manbidsch.APA/AFP/NAZEER AL-KHATIB
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Nach der Ankündigung von Präsident Trump kommt es zum Aufmarsch syrischer und türkischer Truppen um die Stadt Manbidsch. Und bei Damaskus schlagen israelische Raketen ein.

Istanbul. In Syrien nehmen die militärischen Spannungen nach der Ankündigung des amerikanischen Truppenabzugs zu. Sowohl die syrische Armee als auch die Türkei ziehen in der Nähe der nordsyrischen Stadt Manbidsch starke Verbände zusammen. Beide Parteien wollen das Vakuum füllen, das durch den Rückzug amerikanischer Soldaten aus der Gegend entstehen könnte. Die Türkei bekräftigte ihre Entschlossenheit, die syrische Kurdenmiliz YPG aus der Grenzregion östlich des Euphrat zu vertreiben. Unterdessen griff die israelische Luftwaffe erneut Munitionsdepots proiranischer Kräfte in der Nähe von Damaskus an.

Die YPG, ein Partner der USA im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS), hat den IS vor zwei Jahren aus Manbidsch vertrieben und kontrolliert seitdem die Stadt, die rund 20 Kilometer südlich der türkischen Grenze liegt. Ankara betrachtet die YPG als syrischen Ableger der Terrororganisation PKK und strebt deshalb die Entfernung der Kurdenmiliz aus der Gegend auf der syrischen Seite der Grenze an. Der von US-Präsident Donald Trump in der Vorwoche verkündete amerikanische Truppenabzug aus Syrien bedeutet, dass die YPG einer türkischen Militärintervention schutzlos ausgeliefert wäre.

Hilferuf der Kurdenmiliz

Obwohl die in Manbidsch stationierten US-Soldaten noch nicht abgezogen sind, hat die Kurdenmiliz die syrische Regierung und die russischen Militärs gegen die Türkei zu Hilfe gerufen. Die russische Armee hat in dem Dorf Arima westlich von Manbidsch laut Medienberichten ein Koordinationszentrum eingerichtet, um sich mit syrischen Regierungsverbänden beim Marsch auf die Stadt abzustimmen.

Regierungstreue syrische Kommentatoren berichteten am Mittwochmittag, erste syrische Soldaten seien in den Außenbezirken von Manbidsch angekommen.

Gleichzeitig rücken auch protürkische Rebellenverbände auf Manbidsch zu. Die Schlacht werde bald beginnen, sagte Rebellensprecher Oberst Jussef Hamud der Nachrichtenagentur Reuters. An der türkischen Grenze zu Syrien trafen zusätzliche Panzer ein.

Versprechen der Autonomie

Das weitere Schicksal von Manbidsch könnte einen Hinweis darauf liefern, was nach dem Rückzug der Amerikaner im Osten Syriens geschehen wird. Bisher beherrschen YPG und die USA gemeinsam das Gebiet östlich des Euphrat, das rund 25 Prozent des syrischen Territoriums ausmacht. Die Regierung von Präsident Baschar al-Assad will den Osten des Landes so schnell wie möglich unter ihre Kontrolle bringen; die syrischen Kurden hatten schon im Sommer mit der Assad-Regierung über eine Autonomie für die Kurden nach einem Rückzug der Amerikaner gesprochen.

Die Türkei will eine Selbstverwaltung der YPG jedoch nicht hinnehmen. Selbst wenn die Regierung in Damaskus nach einer Verständigung mit der YPG ihr Herrschaftsgebiet auf die Gegend östlich des Euphrat ausdehnen sollte, werde sein Land eine Präsenz der Kurdenmiliz an der gemeinsamen Grenze nicht akzeptieren, sagte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu. Die Türkei verfolge etwaige Abmachungen zwischen Damaskus und der YPG aufmerksam. Çavuşoğlu kündigte eine Reise nach Moskau an, um mit der russischen Regierung über die Entwicklung in Ostsyrien zu sprechen. Anfang Jänner sind zudem Gespräche der türkischen Führung mit der amerikanischen Regierung geplant.

Hisbollah-Waffenlager beschossen

Westlich von Damaskus beschossen israelische Kampfjets am Dienstagabend erneut Waffenlager der proiranischen Hisbollah, die auf Assads Seite in Syrien kämpft und den Konflikt nutzen will, um den jüdischen Staat vom syrischen Staatsgebiet aus unter Druck zu setzen. Auch Einrichtungen der iranischen Revolutionsgarden wurden getroffen, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mitteilte.

Die israelische Regierung hat in den vergangenen Tagen betont, sie werde auch nach dem amerikanischen Rückzug aus Syrien gegen den Versuch des Iran vorgehen, sich dauerhaft in Syrien festzusetzen.

AUF EINEN BLICK

Rund um die nordsyrische Stadt Manbidsch kommt es nach der Rückzugsankündigung der Amerikaner zu einem Truppenaufmarsch: Sowohl protürkische Milizen wie auch die syrische Armee verlegten Einheiten in die Nähe der Ansiedlung. Manbidsch wird von der kurdischen YPG-Miliz kontrolliert, die die Stadt vor zwei Jahren vom Islamischen Staat (IS) zurückeroberte.

Nun fürchten die kurdischen Verbände um ihre Zukunft, denn mit der Türkei verbündete Milizen wollen die Region unter ihre Kontrolle bringen.
Auch die Türkei hat Panzer an der Grenze zu Syrien auffahren lassen.

Ankara betrachtete die YPG als Terroristen. Schon länger droht die Türkei mit dem Angriff auf das Kurdengebiet. Mit Trumps Rückzugsankündigung ist das nun faktisch möglich geworden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2018)

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