Die SPÖ-Chefin stößt sich am Sozialgeldformular, in dem der Geburtsort der Eltern abgefragt wird. Zum Thema Drittes Reich betont sie: "Die Massenvernichtung durch den Holocaust darf mit nichts verglichen werden."
Der Weihnachtsfrieden ist vorbei - zumindest, wenn es nach der SPÖ geht. Denn diese übt aktuell scharfe Kritik an der Arbeit der türkis-blauen Bundesregierung. Während der stellvertretende Klubchef, Jörg Leichtfried, am Mittwoch einen Mangel an nötigen Respekt dem Hohen Haus gegenüber beanstandete, unterstellt Parteichefin Pamela Rendi-Wagner ÖVP und FPÖ die Spaltung der Gesellschaft. "Die Regierungspolitik passt zur Jahreszeit. Es gibt mehr soziale Kälte in diesem Land. Die ÖVP gibt dabei den Kurs vor, die FPÖ trägt mit (Vizekanzler Heinz-Christian, Anm.) Strache alles widerstandslos mit", sagte Rendi-Wagner. FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky konterte umgehend: "Die einzige Partei in Österreich, die einen gesellschaftspolitischen Unfrieden in unser Land bringt, ist die SPÖ."
Die SPÖ-Chefin nennt Gesetzesinitiativen wie den "Zwölfstundentag", die "Zerschlagung der Sozialversicherung", das Kippen des Rauchverbots in der Gastronomie oder die Kürzung der Mindestsicherung als Beleg für ihre Kritik am ersten Regierungsjahr der Koalition. "Alles ganz große Einschnitte", meint sie. Bevölkerungsgruppen würden gegeneinander ausgespielt. "Diese von der Regierung befeuerte Spaltung ist eine Gefahr für den sozialen Frieden in unserem Land."
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Mager fällt auch Rendi-Wagners Bilanz zum EU-Vorsitz Österreichs aus: "Viele Ankündigungen und Überschriften, Fortschritte gleich null." Vor allem in der Migrationsfrage hätte ein Ratsvorsitz, der sich selbst ein Europa, das schützt, zum zentralen Thema macht, "mehr Meter machen müssen". Apropos Europa: Bei der EU-Wahl am 26. Mai will die SPÖ ein zusätzliches sechstes Mandat holen und wieder stärkste Partei werden.
Innenpolitisch möchten sich die Sozialdemokraten 2019 auf die Themen leistbares Wohnen, Gesundheit mit Pflege und Ärztemangel sowie Chancengerechtigkeit für Jugendliche konzentrieren. "Es gab in den letzten zehn Jahren eine Mietenexplosion. Die Menschen geben fast die Hälfte ihres Einkommens für Mieten aus. Deshalb weg mit der Mietensteuer", so die Parteichefin.
"Stehe natürlich zu Vermögens- und Erbschaftssteuer"
Erbschafts- und Vermögenssteuer sind für Rendi-Wagner derzeit übrigens kein Thema. Der SPÖ-Parteitagsbeschluss zur Einführung einer Erbschaftssteuer mit einer Obergrenze von einer Million Euro sei aber aufrecht: "Ich stehe natürlich zu einer Vermögens- und Erbschaftssteuer. Die Frage ist nur, wann ist der richtige Zeitpunkt dafür. Vor dem Hintergrund eines hohen Wirtschaftswachstums und von steuerlichen Mehreinnahmen von über acht Milliarden zwischen 2016 und 2020 ist es aus meiner Sicht Zeit für Entlastung und nicht für zusätzliche Steuern."
Der Wechsel aus der Regierung in die Opposition sei nicht einfach gewesen, "aber wir sind in der Opposition angekommen", bekundet sie. Den Vorwurf der Totalopposition, wie ihn zuletzt Parteikollege Hans Peter Doskozil geäußert hatte, weist Rendi-Wagner zurück: "Wir haben in den letzten zwölf Monaten bei einem Drittel aller Regierungsvorschläge im Parlament zugestimmt. Da gibt es keine Fundamentalopposition." Mit Doskozil gehe sie "in die gleiche Richtung".
"NS-Massenvernichtung darf mit nichts verglichen werden"
Dass es in der SPÖ überzogene Vergleiche gibt, bei denen etwa der Nationalsozialismus oder der Austrofaschismus gegen die Regierung ins Treffen geführt werden, sieht Rendi-Wagner differenziert: "Ich würde eine so überspitzte und überzogene Wortwahl nicht treffen und Vergleiche mit dem Dritten Reich niemals machen, weil die Massenvernichtung durch den Holocaust mit nichts verglichen werden darf." Inhaltlich sei die Kritik - etwa jene vom Wiener SPÖ-Stadtrat Peter Hacker - aber richtig. "Bei der Mindestsicherung wird erstmals in einem Antragsformular der Geburtsort der Eltern systematisch abgefragt werden. Die Regierung kann nicht beantworten, wozu es diese systematische Abfrage braucht."
Das Verhältnis zu den Regierungsparteien war schon einmal besser: "Anhand der letzten zwölf Monate können wir sagen, dass die FPÖ derzeit kein Koalitionspartner ist. Die letzten Monate haben die FPÖ nicht näher zu uns gebracht." Im getrübten Verhältnis zur ÖVP unter kanzler Sebastian Kurz setzt Rendi-Wagner bis zur nächsten Nationalratswahl auf den Faktor Zeit: "Die nächste reguläre Nationalratswahl ist 2022. Erst dann wird man sehen, welche Mehrheiten sich aufgrund des Wählervotums ergeben." Nachsatz: "Absolute Mehrheiten wird es so schnell weder für den einen noch den anderen geben. Es wird daher immer eine Regierungspartnerschaft geben, und das sind nie Liebesheiraten."
(APA/Red.)