CERN: Der heftigste Teilchencrash

CERN heftigste Teilchencrash
CERN heftigste Teilchencrash(c) AP (Anja Niedringhaus)
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Mit ein paar Stunden Verspätung hat der LHC seine Arbeit aufgenommen. Im Kontrollraum brach Applaus aus, als Detektoren die Kollision von fast auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigten Teilchen anzeigten.

Den Physikern war die Anspannung anzusehen. Nachdem der weltgrößte Teilchenbeschleuniger LHC im europäischen Kernforschungszentrum Cern im September 2008 die Hoffnungen nicht erfüllen konnte – es kam vielmehr zu einem folgenschweren Unfall –, musste diesmal alles klappen. Für Dienstag, 8.47 Uhr, war die erste Kollision von annähernd auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigten Protonen geplant. Aber vorerst wurde daraus nichts. „Wir haben den Strahl heute Nacht schon mehrmals verloren“, vermeldete der österreichische Physiker Manfred Jeitler via Internetleitung aus Genf nach Wien – in das Institut für Hochenergiephysik (Hephy) der ÖAW, wo Dutzende Menschen gespannt dem Geschehen in Genf folgten. Das Hephy hatte zur Feier des Tages seine Tore geöffnet, viele Interessierte waren der Einladung gefolgt.

Institutsleiter Christian Fabjan erläuterte am Vormittag die Gründe für die Probleme. Schon in der Nacht waren Protonen auf die Rekordenergie von 3,5 Teraelektronvolt beschleunigt worden, gegen sechs Uhr in der Früh wurde aber Alarm geschlagen: Im Stromnetz waren Spannungsschwankungen aufgetreten, und später wurde auch das Frühwarnsystem der riesigen Elektromagnete aktiv. Dieses System war erst nach dem Unfall eingebaut worden, um zu verhindern, dass erneut Dutzende Bauteile zerstört würden. „Es ist nicht ganz so gelaufen, wie wir geplant haben“, sagt Fabjan.

Angesagt war nun fieberhafte Fehlersuche – doch die Hoffnung lebte. „Wir sind sicher, dass es innerhalb der nächsten 24 Stunden stattfinden wird“, formulierte etwa der Physiker Dietrich Liko. Die größte Maschine, die die Menschheit jemals gebaut hat, wurde schließlich am späten Vormittag erneut hochgefahren – das dauert rund eine halbe Stunde –, und um 13.01 Uhr war es so weit: Die ersten Protonen prallten aufeinander, die Messgeräte registrierten unzählige Zusammenstöße und die Bildung neuer Teilchen. Auch der Detektor CMS, an dem österreichische Forscher wesentlich beteiligt sind: Am Hephy wurden sogenannte „Spurdetektoren“ hergestellt, die den Weg bestimmter Elementarteilchen verfolgen. Aus diesen Spuren kann auf die Art der Teilchen geschlossen werden.

Nach dem geglückten Start überschlug sich die Cern-Führung geradezu in Superlativen. „Es ist ein großer Tag, ein Teilchenphysiker zu sein“, sagte Cern-Direktor Rolf Heuer mit einem breiten Lachen im Gesicht: „Viele Menschen haben lange auf diesen Moment gewartet, ihre Geduld und Hingabe beginnt nun, Dividenden zu zahlen.“ Immerhin haben mehr als 10.000 Wissenschaftler 20 Jahre lang auf die erste Kollision hingearbeitet. Allerdings: Der LHC läuft, wie berichtet, die nächsten 18 bis 24 Monate nur auf halber Leistung – aus Sicherheitsgründen, denn noch sind nicht alle Probleme, die seit dem Unfall bekannt sind, gelöst. Das soll erst in einer größeren Betriebspause geschehen.

Bis konkrete Ergebnisse veröffentlicht werden, dürfte es noch einige Zeit dauern. Bei der wohl spannendsten Frage – ob es die sogenannten Higgs-Bosonen wirklich gibt, die den Elementarteilchen laut „Standardtheorie“ eine Masse verleihen –, müssen erst einmal Daten aus zwei bis drei Jahren vorliegen, bevor man sie statistisch auswerten kann. Sicher ist bereits eines: Die von manchen Kritikern befürchteten schwarzen Löcher, die Genf und den Rest der Welt ins Verderben reißen könnten, sind am Dienstag nicht entstanden. Kommentar, Seite27

LEXIKON

Der LHC, der weltgrößte Teilchenbeschleuniger am Cern in Genf, ist 27 Kilometer lang und liegt in einer Tiefe von 100 Metern. Die supraleitenden Magnete, die die Teilchen in ihrer Bahn halten, werden bei minus 271 Grad betrieben. Im ersten Schritt werden Protonen auf bis zu 99,9999991 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und zur Kollision gebracht. Physiker drücken den Energiegehalt in Teraelektronvolt aus: Am LHC wird derzeit mit einer Kollisionsenergie von 7TeV gearbeitet, ausgelegt ist er auf 14TeV. Noch heuer sollen auch Blei-Ionen beschleunigt werden, damit will man Bedingungen simulieren, wie sie kurz nach dem Urknall herrschten.

Gekostet hat der LHC samt Detektoren 7,4 Milliarden Euro, Österreich überweist jährlich rund 20 Millionen Euro an das Cern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2010)

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