Christoph Schönborns Horrorjahr

Christoph Schoenborns Horrorjahr
Christoph Schoenborns Horrorjahr(c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
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Mittlerweile sind in allen neun Ombudsstellen für Opfer sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche insgesamt bereits 566 Meldungen eingelangt. 70.000 Austritte werden erwartet.

Es war alles so schön geplant. Im Herbst erfolgte der Start für ein groß angelegtes Projekt, mit dem Kardinal Christoph Schönborn die katholische Kirche durch drei Diözesanversammlungen im Stephansdom und eine Missionswoche aus der Defensive führen wollte. Und dann das: Mittlerweile sind nach Informationen der APA vom Dienstag in allen neun Ombudsstellen für Opfer sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche insgesamt bereits 566 Meldungen eingelangt.

47 Prozent der Fälle muss noch nachgegangen werden, lediglich ein Prozent betrifft Taten, die noch nicht unter die Verjährung fallen. 27Prozent der Meldungen beziehen sich auf sexuellen Missbrauch, 26Prozent auf andere Formen der Gewalt gegen Kinder und Jugendliche.

Wie „Die Presse“ aus der Erzdiözese Wien erfährt, kündigt sich für ganz Österreich heuer ein All-Time-High bei den Kirchenaustritten an. Intern wird mit einem Exodus von 70.000 Mitgliedern in ganz Österreich gerechnet. Im Vorjahr waren es „nur“ 53.200 – auch das bedeutete aber bereits einen Rekord.

Angesichts dieser Rahmenbedingungen hat Kardinal Schönborn seine bisherige Askese gegenüber Hilfe von außen abgelegt und vertraut in Medienfragen – neben seinen üblichen Ratgebern aus dem Personalstand der Erzdiözese und der Bischofskonferenz – derzeit auch einem externen Berater. Gleichzeitig sorgt er wieder für (internationale) Schlagzeilen und TV-Sekunden, wenn auch ganz anders, als ursprünglich so schön geplant: Heute, Mittwoch 19Uhr, leitet der Wiener Erzbischof einen Buß- und Klagegottesdienst in seiner Metropolitankirche zu Sankt Stephan, bei dem auch Gewaltopfer zu Wort kommen sollen. Derartige Übungen sind der katholischen Tradition alles andere als fremd – auch im internationalen Vergleich bemerkenswert ist die Veranstaltung am Vorabend der drei wichtigsten Tage des Kirchenjahres aber allemal. Dass Medien derartige Gesten lieben, ist wohl als durchaus erwünschte Nebenwirkung mitgedacht.


Bewältigt ist der Vertrauensverlust der katholischen Kirche damit lange nicht. Alleine die Aufarbeitung der bekannt gewordenen Fälle wird Monate dauern, die Sommertagung der Bischöfe in Mariazell wird wieder ganz im Zeichen der Reaktion auf Missbrauchsdebatten stehen.

Was der Vorsitzende der Bischofskonferenz in dieser sensiblen Situation am wenigsten benötigt ist die Eröffnung eines weiteren Kriegsschauplatzes. Genau dieses Szenario könnte bei Bischofsernennungen drohen. In Eisenstadt wird der Amtssitz Paul Ibys frei, in Linz wünscht sich Alois Schwarz einen Weihbischof als Hilfe. Und der Vorarlberger Bischof, Elmar Fischer, gilt wegen gegen ihn geäußerter Gewaltvorwürfe und seiner Aussagen über körperliche Züchtigung für manche als rücktrittsreif.

Burgenlands Bischof Iby hat im Jänner die Altersgrenze von 75 erreicht und sein Rücktrittsgesuch nach Rom übermittelt. Mittlerweile zeichnet sich immer mehr ab, dass der Sekretär der Bischofskonferenz, Ägidius Zsifkovics, nach Eisenstadt wechseln soll. Für Linz verdichten sich die Hinweise, dass Rom keinen Weihbischof ernennt. Zu groß wäre die Gefahr neuer innerkirchlicher Konflikte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2010)

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