Brexit treibt Keil in die Labour-Partei

January 2 2019 London London UK London UK Leader of the Labour Party Jeremy Corbyn speaks
January 2 2019 London London UK London UK Leader of the Labour Party Jeremy Corbyn speaksimago/ZUMA Press
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Drei Viertel der Anhänger der oppositionellen Labour Party wollen ein zweites Referendum – Parteichef Corbyn ist dagegen.

London. Nach den regierenden Konservativen spaltet die bevorstehende Entscheidung über den EU-Austritt Großbritanniens zunehmend auch die oppositionelle Labour Party. In offenem Gegensatz zur Politik der Parteiführung wollen fast drei Viertel (72 Prozent) ihrer Anhänger das Volk noch einmal über den Brexit befragen. Demgegenüber bekräftigte Labour-Chef Jeremy Corbyn am Mittwoch seine Priorität sei es, den Vertrag zwischen der EU und der Regierung von Premierministerin Theresa May zu Fall zu bringen.

Das Unterhaus kommt am kommenden Montag aus der Winterpause zurück und wird danach die Brexit-Debatte wieder aufnehmen. Die Abstimmung über das Austrittsabkommen hat die Premierministerin auf die nachfolgende Woche verschoben. Obwohl sie in ihrer Neujahrsbotschaft aufrief, „2019 zu dem Jahr zu machen, in dem wir unsere Differenzen hinter uns lassen“, besteht weiter massiver Widerstand gegen den Pakt, der eine Zollunion zwischen Großbritannien und der EU vorsieht, um Kontrollen an der Grenze zwischen Irland und Nordirland zu verhindern – wozu sich die britische Regierung verpflichtet hatte.

May habe während der Feiertage mit „zahlreichen europäischen Führern“ gesprochen, um von Kritikern geforderte Zusicherungen zu erhalten, betonte das Amt der Premierministerin. Außenminister Jeremy Hunt zeigte sich demonstrativ zuversichtlich: „Wenn May mit der Garantie von der EU zurückkommt, dass wir nicht auf Dauer in der Zollunion gefangen sein werden, werden wir einen Weg finden, dieses Abkommen durch das Parlament zu bringen.“

„Wir werden gegen Mays Deal stimmen“

Dafür braucht die Regierung angesichts des massiven Widerstands aus den eigenen Reihen – mindestens 100 der 317 Tory-Abgeordneten erklärten im Dezember, gegen Mays Deal stimmen zu wollen – aber die Unterstützung der Opposition, insbesondere gemäßigter Labour-Kräfte. Mit derartigem Wunschdenken machte Corbyn am Mittwoch aber kurzen Prozess: „Wir werden gegen No-Deal und gegen Mays Deal stimmen“, erklärte er. Dann müsse die Premierministerin „nach Brüssel zurück und erklären, die Vereinbarung ist für Großbritannien nicht akzeptabel und eine Zollunion aushandeln.“

Für die Durchsetzbarkeit dieses Szenarios gibt es allerdings keinerlei Anhaltspunkte. Die EU hat Neuverhandlungen ausgeschlossen, und war bisher nicht einmal zu symbolischen Zugeständnissen bereit. Die Schwäche Mays bewegt weder die europäischen Führer noch potenzielle Labour-Rebellen dazu, politisches Kapital zu investieren.

»Corbyn riskiert jene Aktivisten zu verärgern, die er im Wahlkampf brauchen wird.

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Tim Bale, Queen Mary University

Einen Kurswechsel Labours könnte eher noch die Parteibasis einläuten. Tim Bale, Politikprofessor an der Queen Mary University London und Leiter der Parteistudie, meinte zu der wachsenden Kluft zwischen Führung und Basis: „Corbyn wird sich gut überlegen müssen, ob seine Politik wirklich so schlau ist wie viele zu glauben scheinen. Er riskiert nämlich genau jene Aktivisten zu verärgern, die er im nächsten Wahlkampf brauchen wird.“

Die Tiefe der Kluft zeigt sich auch darin, dass Corbyn vor Weihnachten einmal mehr bekräftigte, dass auch unter seiner Führung „der Brexit umgesetzt werden wird“, während nach der Studie von Bale in einer neuen Volksabstimmung 88 Prozent der Labour-Anhänger für den Verbleib in der EU stimmen würden.

„Zwischen schlecht und schrecklich“

So stolpert die zweitgrößte Wirtschaftsmacht Europas uneinig und unvorbereitet in ein ungewisses Schicksal. In der Konjunkturumfrage zu Jahreswechsel der „Financial Times“ meinten 81 Ökonomen, die Aussichten Großbritanniens 2019 würden „zwischen schlecht und schrecklich“ liegen. Die Brexit-Vorarbeiten der Regierung stimmen da nicht hoffnungsvoller: Ein Vertrag über 14 Millionen Pfund für ein neue Fährverbindung über den Ärmelkanal wurde an das vor zwei Jahren gegründete Unternehmen Seaborne Freight vergeben – eine Firma, die keine Schiffe hat, noch nie eine Fähre betrieben hat und in einem Hafen operieren will, der für Tiefgang ungeeignet ist. Man werde bis spätestens Ende März zwei Fähren chartern, versicherte Vorstandsvorsitzender Ben Sharp.

Falls dies gelingt, kommen die zwei Schiffe keine Sekunde zu früh: Die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens erlischt am 29. März um 23.00 Uhr kontinentaleuropäischer Zeit. Sollten die Briten ohne ein Austrittsabkommen aus der EU ausscheiden, wird die bisherige Hauptverkehrsader Dover-Calais nicht ausreichen, um Großbritannien zu versorgen – denn die Infrastruktur auf beiden Seiten des Ärmelkanals ist nicht auf Grenz- und Zollkontrollen ausgelegt. Kommt der Warenverkehr zwischen Dover und Calais überlastungsbedingt zum Erliegen, werden die Briten auf Ausweichhäfen angewiesen sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2019)

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