Warum die dunkle Seite des Mondes nicht dunkel ist

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Die von der Erde aus unsichtbare Rückseite des Mondes ist weder ewig finster noch unbekannt, ja noch nicht einmal von irdischen Relikten unberührt. Und doch schrieb China mit der weichen Landung einer Sonde „hinter“ dem Mond Geschichte.

Im Nachhinein gesehen waren die Worte bemerkenswert: Im Sommer 2007 sagte Zhang Wei, damals ein Generaldirektor von Chinas Weltraumbehörde CNSA, in Bezug auf den geplanten Ablauf des Mondflugprogramms zur „Presse": „Heuer startet der Mondorbiter Chang'e 1, er soll Fotos machen, die Bodendicke messen [. . .]. Dann planen wir eine robotische Landung. Später wollen wir Material zur Erde holen. Wir hoffen, alles bis 2020 machen zu können."

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Im Jänner 2019 hat China nun mit bisher vier Mondflügen durch Sonden bis auf letzteren Punkt alles erreicht – und den wird es mit der Mission Chang'e 5 wohl noch heuer abhaken. Im Vergleich zu Raumflugprogrammen anderer Staaten, in denen sich Projekte immer wieder um Jahre verzögern oder gestrichen werden, ist das bemerkenswert. Eine bemannte Landung dürfte erst Ende der 2020er oder in den 2030ern stattfinden, aber China ist für Überraschungen gut.

So etwa für jene, die Anfang Dezember gestartete Sonde Chang'e4 samt einem Fahrzeug, dessen Masse mit 140 Kilogramm angegeben wird, am 3. Jänner just auf der erdabgewandten Seite abzusetzen – der „dunklen" Seite, im Englischen sagt man „far side". Der Landepunkt ist im „Von-Kármán"-Krater, einem Einschlagsbecken (Durchmesser: 180 Kilometer) in der Südpolregion. Namensgeber ist der Altösterreicher bzw. Ungar Theodore von Kármán (1881–1963), ein bedeutender Physiker, Luftfahrtingenieur – und als Professor in den USA akademischer Mentor von Qian Xuesen (1911–2009), dem Vater der chinesischen Raumfahrt.

Wieso die Aufregung um die Landung auf der dunklen Seite? Erstens ist doch schon der Begriff unrichtig: Die Sonne scheint zeitweise sehr wohl auch dorthin. Nun, er ist metaphorisch gemeint, weil von der Erde aus der Mondrücken eben unsichtbar, arkan, ist – aber nur großteils: Bis zu 18 Prozent davon werden durch ein Phänomen namens Libration zeitweise an seinen Rändern sichtbar, wobei es, simpel gesagt, um so etwas wie Taumelbewegungen des Mondes geht.

Gebundener Tanz durchs All

Dass der Mond uns aber im Prinzip immer dieselbe Seite zeigt, hängt an der „gebundenen Rotation", einem Phänomen, wenn ein kleiner einen großen Körper umkreist. Dabei passt sich die Eigendrehung des Kleinen im Lauf der Zeit durch die Gravitationswirkung des Großen diesem an. Und zwar so, dass der Kleine während eines Umlaufs um den Großen zugleich einmal um sich selbst rotiert. Stellen Sie sich vor, Sie gehen im Kreis um eine Person herum und wenden ihr immer das Gesicht zu. Sie rotieren dabei auch einmal um ihre Körperachse.

Der Mond tut beides in etwa 27 Tagen, wobei seine Rückseite bei Vollmond tatsächlich stockfinster ist. Das andere Extrem ist bei Neumond, wenn der Mond von der Erde aus unsichtbar ist, weil der Mond jetzt zwischen Sonne und Erde steht und uns quasi eine neue unbeleuchtete Nachtseite zeigt. Dann ist die vormalige „dark side of the moon" eine wahrhaft „bright side" und wärmt sich bis auf etwa 130 Grad auf.

Die Mondrückseite ist – zweitens – nicht einmal so unbekannt. 1959 flog die Sowjet-Sonde Luna 3 vorbei und schoss unscharfe Bilder. Durch weitere Sonden hatte man bald ein schönes „Luft"-Bild von dieser Mondhälfte, 1967 publizierte die UdSSR den ersten Komplettatlas. Die Astronauten von Apollo 8 sahen im Dezember 1968 als erste Menschen die Rückseite, damals entstand das fantastische Foto der blau-weißen Erde, die hinter dem Mond aufgeht („Earthrise").

Die Sache mit der Heiligenschein-Bahn

Drittens: Die Rückseite ist nicht wirklich unbesucht. So schlug 1962 die Nasa-Sonde Ranger 4 auf, es war aber ein Unfall.

Und doch schrieb China Historie, denn Chang'e 4 gelang die erste weiche Landung. Genau so etwas auf der Rückseite hatte Nasa-Astronaut Harrison Schmitt (*1953), er war Ende 1972 der bisher letzte Mensch auf dem Mond, in den 1970ern vorgeschlagen. Und: Er hatte auch eine Lösung für ein sehr großes Hindernis: Auf der Mondrückseite gibt es ja keinen Funkkontakt zur Erde, die Apollo-Kapseln flogen dort jedesmal etwa eine Dreiviertelstunde in Funkstille vorbei. Was dort landet, bleibt also de facto verschollen. Außer, man packt einen Fernmeldesatelliten als Relaisstation in Mondnähe - aber so, dass auch der nicht zeitweise im Mondschatten fliegt.

So wie Schmitt und andere (primär Nasa-Forscher Robert Farquhar) vor Jahrzehnten vorgeschlagen hatten, parkten die Chinesen also einen Satelliten nahe einem speziellen Punkt im All, der auf einer gedachten Achse Erde–Mond etwa 65.000 km von der Mondrückseite entfernt ist. An diesem „Lagrange-Punkt L2" heben sich Gravitationskräfte auf, Objekte dort fahren einfach auf der Achse mit um die Erde, und zwar mit der Bahngeschwindigkeit des Mondes. Und um diesen Punkt herum, in einer Bahn normal zur Erde-Mond-Achse (etwa wie ein Lenkrad an der Lenksäule), kreist eben ein Relaissatellit namens Queqiao und hat stets freie Funksicht zu Erde und Mond zugleich.

Die Sache mit den Lagrange-Punkten ist hier schwierig zu erklären, es gibt in jedem System zweier einander umkreisender Himmelskörper fünf davon an bestimmten Stellen auf der Bahnebene der beiden Körper (etwa Erde-Mond, Erde-Sonne). Wenn dort ein viel kleinerer Körper (etwa Asteroid, Satellit) platziert wird, heben sich die Gravitationskräfte der großen Körper in Bezug auf das kleine Objekt und dessen Zentrifugalkraft auf. Praktisch heißt das, dass das ganz kleine Objekt an diesen Punkten den zentralen Himmelskörper umkreisen kann, und zwar mit der Umlaufzeit des kleineren Körpers. Letztlich bleibt die relative Position des kleinsten Objekts, etwa des Satelliten, zu den anderen Körpern konstant.

Näher erläutert wird das hier, und in Bezug auf die "lenkradförmige" (man sagt eigentlich heiligenschein- oder ringförmige) Kreisbahn von Queqiao um den Punkt L2herum, hier und hier.

Erklärung der Positionierung und Bahn des Relaissatelliten um den Lagrangepunkt L2 herum.
Erklärung der Positionierung und Bahn des Relaissatelliten um den Lagrangepunkt L2 herum.The Planetary Society www.planetary.org

Auf der „dark side", die aus nicht exakt bekannten Gründen gebirgiger, zerklüfteter und kraterdurchzogener ist als die Vorderseite, werden Sonde und Rover nun etwa chemische und physikalische Studien durchführen sowie Sterne studieren. Dafür ist das dortige Funkloch ideal, denn es mischen sich keine störenden Signale von irdischen Elektrosystemen ein. Hochinteressant ist auch ein biologisches Experiment (s. Kasten).

Kernfusionsbrennstoff vom Mond?

In Kreisen der chinesischen Raumfahrt hat man futuristische Ideen über eine zivile Mondnutzung. So denkt man an Radioteleskope auf der Mondrückseite und den Abbau von seltenen Elementen. Darunter ist das Heliumisotop Helium-3, das auf der Erde sehr selten ist, im Mondboden aber 1000-fach konzentriert sein dürfte und von dem man einen Durchbruch beim Bau und Betrieb von Kernfusionsreaktoren erhofft.

Zhang Wei hielt diesen Mondbergbau 2007 im Gespräch mit der "Presse" allerdings noch für „wenig realistisch".

WÜRMER AUF DEM MOND

Das schönste Experiment in der Landesonde ist wohl die Biosphäre: In einem Behälter sind Samen von Kartoffeln, einem Wiesenkraut und Seidenraupen untergebracht, der Kasten wird beleuchtet und gewärmt, und man verfolgt – sogar per Kamera – die Vorgänge. Falls die Raupen schlüpfen, geben sie CO2 ab, das den Pflanzen als Nährstoff dient, die dafür Sauerstoff erzeugen. Vielleicht entsteht so ein kleiner Lebensraum auf dem Mond.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2019)

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