Die EU-Wahl wird 2019 zur Schicksalsentscheidung Europas stilisiert. Das ist schwer übertrieben. Ganz unwichtig ist der Urnengang freilich nicht.
Zu Jahresbeginn eine vorsichtige Einschätzung: Alexander Van der Bellen ist kein schlechter Bundespräsident. Ohne ernsthaften Authentizitätsverlust verkörpert er eine Mischung aus präsidialem Staatsnotar und sympathischem Hofburg-Professor. Weder hält er sich mit stellenweise notwendiger Kritik an der Regierung und ihren Aktionen zurück, noch führt er die Donnerstagsdemos vor seiner Haustür, wie das manche seiner früheren Anhänger gern hätten.
Sowohl mit seiner Warnung vor dem seit Jahrzehnten andauernden Sparkurs beim Bundesheer als auch mit seiner Neujahrsansprache konnte Van der Bellen punkten. Erstens wäre es höchst an der Zeit, die Neutralität ernst zu nehmen und die Landesverteidigung so zu dotieren, dass sie auch international ernst genommen wird. Zweitens ist Van der Bellens kindlich formuliertes Bekenntnis zu Europa gut und richtig gewesen. Angesichts gröberer Finanz- und Wirtschaftskrisen sowie militärischer Konflikte und Kriege vor und in der Haustür sind die Erinnerung und die Warnung wichtig, wie fragil und erstrebenswert diese wirtschaftliche und fast immer auch politische Union ist. Was Kritik nicht ausschließt, sondern eigentlich voraussetzt, um sie weiterentwickeln zu können. Und nein, mehr Zentralismus und Bundesstaatswerdung ist derzeit nicht der richtige Weg.
Van der Bellen und viele Warner unterliegen aber einer Fehleinschätzung: Die Wahlen zum EU-Parlament sind wichtig, sie zur Richtungsentscheidung, quasi zum Fanal für Europa hochzustilisieren ist aber falsch. Das Szenario, der Block rechtspopulistischer Fraktionen, könnte eine Mehrheit bekommen und so Union und Kontinent in eine autoritär regierte, neofaschistische Festung umbauen, ist kein reales. Weder hätte das Parlament die Macht, noch diese Fraktionen annähernd eine Mehrheit geschweige denn eine gemeinsame Linie in den wichtigen Fragen Europas – außer den eigenen Wählern Manna vom Himmel und weniger Champagner in Brüssel versprochen zu haben. Schon an der Einlösung dieser Wahlversprechen scheitern manche.
Die Wahl zum EU-Parlament ist wichtig, aber nicht alles entscheidend. Oder anders: Auch wenn so manche Rede und manches Interview zum Thema EU derzeit dick aufgetragen ist und vor Pathos trieft, sollte der Wähler nicht auf Inhalte verzichten.
Rein politisch geht es um ein paar konkrete Fragen. Erstens: Wer soll die Union in der Kommission führen? Die Christdemokraten und Konservativen unter Führung einer eurofreundlichen CDU/CSU. Othmar Karas passt da gut in die Fraktion, wie nicht nur Harald Vilimsky weiß. Die allgemeine Lust am Duell der beiden Kandidaten und manche Hoffnung, dass daran die Koalition zerbricht, wirken süß und naiv zugleich. Die Liebe zwischen Türkis und Blau wird dadurch nicht größer, aber ohne Alternativen und aus Angst vor schlechten Umfragewerten werden die unangenehmen Verwandten des Ehepartners immer irgendwie akzeptiert: der Onkel, der zu viel redet, gestikuliert und manche nervt, der Bruder, der keine ganz so gute Ausbildung und Erziehung genossen hat und leider auch so spricht.
Und zweitens: Werden die Sozialdemokraten bei der Wahl wieder erleiden müssen, was sie bei nationalen Wahlgängen bereits durchgemacht haben – also schwere Verluste? Oder wird es nicht so schlimm? Dass die Sozialdemokraten in Europa jedenfalls ein Problem haben und einen neuen Weg finden müssten, steht fest. In Deutschland und anderen Ländern haben die Mitte-rechts-Parteien die Mitte übernommen, von links droht Konkurrenz durch gut inszenierte Populisten wie Sahra Wagenknecht. Nach dem Christian-Kern-Desaster haben auch Plan-B-Kandidat Andreas Schieder und seine Truppe keinen leichten Stand.
Scheitert Werner Kogler mit den Grünen oder gar Claudia Gamon mit den Neos, wäre das alarmierend für beide Parteien – und schlecht für unsere politische Landschaft. Nichtsdestoweniger geht es um die Helikopterebene Brüssel. Und da brauchen wir vor allem eines: politische Profis und Handwerker, keine Volksverführer.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2019)