Hacker-Angriff in Deutschland: „Wir wissen alles über euch“

Opfer des Hackerangriffs: Präsident Steinmeier.
Opfer des Hackerangriffs: Präsident Steinmeier.(c) APA/AFP/POOL/ANNEGRET HILSE (ANNEGRET HILSE)
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Hacker machen sensible Daten von deutschen Politikern und Künstlern publik. Auch Präsident ist unter Opfern. Die Regierung spricht von einem „schwerwiegenden Angriff“.

Wien/Berlin. Robert Habeck, der neue Hoffnungsträger der deutschen Grünen, taucht als Nummer fünf in dem Datensatz zu seiner Partei auf. Eine alte und eine neue Wohnadresse des Grünen-Chefs sind angeführt, genauso wie eine Handynummer, zu der bemerkt ist: „Kann sein, dass seine Frau drangeht.“ Es folgen eine Bankverbindung und Links zu privaten Nachrichten: Chats zwischen Habeck und seiner Frau zum Beispiel. An einer anderen Stelle schreibt er seinem Sohn auf Facebook die Zugangsdaten eines Bankkontos. Bei Habeck drangen die Hacker tief, sehr tief in die Privatsphäre ein. Er ist aber nur einer von Hunderten Betroffenen im vielleicht spektakulärsten Datenklau der deutschen Geschichte.

Die Liste reicht von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier abwärts. Politiker aller Parteien finden sich unter den Opfern – mit Ausnahme der AfD. Allein von der Kanzlerpartei CDU und ihrer Schwester CSU wurden 405 Namen, 395 Mobilnummern, zahlreiche Wohnadressen sowie einige Kopien von Personalausweisen, Rechnungen und dienstliche Briefwechsel veröffentlicht. Betroffen sind zudem Promis wie Til Schweiger, YouTube-Stars, Musikbands, ARD- und ZDF-Journalisten, Satiriker. Auch zwei Mailadressen und eine Faxnummer von Kanzlerin Angela Merkel scheinen in den Dateien auf. Das ist vergleichsweise harmlos. Andere Minister und Landeschefs sind mit privater Wohnadresse oder – wie Bundespräsident Steinmeier – mit Handynummer gelistet.

Der Fall versetzt das politische Berlin in den Krisenmodus. Justizministerin Katarina Barley (SPD) sprach von einem „schwerwiegenden Angriff“. Die Urheber wollten das „Vertrauen in die Demokratie beschädigen“. Merkels Regierungssprecherin nannte den Vorfall „sehr, sehr ernst“. Erste Politiker stellten Strafanzeige. „Man fühlt sich ausgeliefert, ich bin ziemlich schockiert“, sagte der SPD-Abgeordnete Florian Post. Von ihm landeten auch Kontoauszüge im Netz. Sie sind echt, wie offenbar der überwiegende Teil der Datensätze. Mindestens eine Datei sei aber gefälscht, sagte Post. Ein Sprecher der Grünen erklärte, die Botschaft der Hacker sei klar: „Wir wissen alles über euch.“

Der Fall wirft einige Fragen auf – und kein gutes Licht auf die deutschen Behörden: Das Datenleck fiel den Ermittlern „in der Masse“ erst in der Nacht auf Freitag auf. Dabei wurden die Daten bereits seit Wochen über einen Twitter-Account veröffentlicht. Jeden Tag gab es im Adventkalenderformat einen neuen Link zu einem Datensatz. Der Beitrag vom 1. Dezember lautet: „1. Türchen geht an Jan Böhmermann und sein tolles Projekt ,Reconquista Internet‘.“ Es handelt sich dabei um die Antwort des Satirikers auf Reconquista Germania, ein Netzwerk rechtsextremer Trolle, auf das der Journalist Rayk Anders mit seinen Recherchen aufmerksam gemacht hat. Auch von Anders machten die Hacker nun sensible Daten publik. Zu den Opfern des Datenklaus zählt auch Christian Ehring von „Extra 3“, einer linksliberalen Satiresendung, die in rechten Kreisen verhasst ist. Selbst Urlaubsfotos Ehrings machten die Hacker publik.

Dass die AfD verschont blieb, nährte am Freitag die Gerüchte über ein rechtes Motiv. Doch für derlei Spekulationen ist es noch zu früh. Die Untersuchung steht am Anfang, auch was das Vorgehen der Hacker betrifft. Die Ermittler schließen aus, dass man über einen Angriff auf das Regierungsnetzwerk an die Daten gekommen ist. Auch der Bundestag dürfte diesmal nicht das Ziel gewesen sein. 2015 haben mutmaßlich russische Hacker massenweise Daten aus dem Herzen der deutschen Demokratie abgesaugt.

Die Behörden gingen am Freitag eher davon aus, dass die Daten aus öffentlichen Bereichen des Internets wie sozialen Medien stammen. Ein betroffener Politiker sagte der „Süddeutschen Zeitung“ („SZ“), sein E-Mail- und Facebook-Account sei im Sommer des vergangenen Jahres gehackt worden. Ein weiteres Opfer erklärte der „SZ“, dass sein Facebook-Account zuletzt übernommen worden sei. Hintergrund war offenbar ein sorgloser Umgang mit Passwörtern.

Bericht: Berlin schaltet NSA ein

In dem nun publik gewordenen Datenleck dürfte teilweise auch Material aus früheren Hacks wiederverwertet worden sein. Der Manager von Jan Böhmermann sagte, die Daten über seinen Mandanten seien schon vor einiger Zeit veröffentlicht worden. Die deutschen Sicherheitsbehörden haben übrigens am Freitag die NSA eingeschaltet. Der US-Nachrichtendienst soll bei der Aufklärung helfen. Anders als die Hacker war die NSA in der nach ihr benannten Affäre auch an die Handynummer von Angela Merkel gelangt. (red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2019)

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