Sozialer Jetlag

Ein späterer Schulbeginn fördert die Leistungsfähigkeit von Jugendlichen: Das wurde immer schon vermutet, nun konnte es auch bewiesen werden.

Nach zwei Wochen seligen Ausschlafens geht nun für viele wieder das Aufstehen zu finsterer Stunde los. Abgesehen von den „Lerchen“ (den 20 Prozent Morgenmenschen) belastet das viele Menschen – nicht nur die 20 Prozent „Eulen“ (Abendmenschen), sondern auch das Gros der Bevölkerung, die weder ausgeprägte Morgen- noch Abendtypen sind. Aber es hilft nichts: Vor allem die Schulbeginnzeiten zwingen viele Zeitgenossen zum Aufstehen zu nachtschlafender Zeit.

Warum die Schule so früh beginnt, ist historisch bedingt: Früher musste das Tageslicht möglichst vollständig genutzt werden, man stand daher früh auf und ging zeitig schlafen (um den Preis, dass es im Winter am Morgen noch finster ist). Mit der Erfindung des elektrischen Lichts änderte sich das – heute spielt die Tageszeit für viele Aktivitäten keine Rolle. In einer Dienstleistungsgesellschaft müsste kaum mehr jemand in der Früh zu arbeiten beginnen. Die gesellschaftlichen Beharrungskräfte sind aber stark, sodass wir unverändert dem alten Takt von Agrar- und Industriegesellschaften unterliegen.

Für Schüler ist das nicht gut: Jede Lehrkraft weiß, dass unausgeschlafene Schüler unaufmerksam und wenig motivierbar sind. Und wie zahlreiche Studien beweisen, sind Schüler zunehmend unausgeschlafen – was v. a. an den Neuen Medien liegt. Bei Jugendlichen kommt noch ein weiterer Punkt hinzu: Mit der Pubertät verschiebt sich der biologische Schlaf-wach-Zyklus (sowohl der circadiane Rhythmus als auch die Schlafhomöostase). In einem zeitlich starren Umfeld erleben viele Jugendliche einen andauernden „sozialen Jetlag“.

Experten schlagen deshalb vor, dass der Unterricht zumindest in höheren Schulen später beginnen sollte. Empirische Daten, ob das wirklich etwas bringt, gab es bisher allerdings kaum. Diese reichten Forscher der University of Washington nun nach: Sie begleiteten die Verlegung des Unterrichtsbeginns an zwei Highschools in Seattle (von 7:50 auf 8:45 Uhr) wissenschaftlich. Das klare Ergebnis des Vorher/Nachher-Vergleichs: Die Schüler schliefen nach der Umstellung um mehr als eine halbe Stunde länger, waren aufmerksamer und hatten bessere Noten (Science Advances, 12. 12.).

Spannend wird, wie sich diese Parameter längerfristig entwickeln. Denn es könnte sein, dass sich die Jugendlichen anpassen und noch später zu Bett gehen. Die Forscher raten daher, dass eine Verschiebung des Unterrichtsbeginns mit Aufklärungskampagnen zur Schlafhygiene verknüpft wird.


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.01.2019)

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