Ungarns Opposition erhöht den Druck auf Premier Orbán

Budapest Tausende demonstrieren gegen Orban Regierung January 5 2019 Budapest Hungary Demonst
Budapest Tausende demonstrieren gegen Orban Regierung January 5 2019 Budapest Hungary Demonst(c) imago/ZUMA Press (Omar Marques)
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Mit spektakulären Aktionen versuchen die Oppositionsparteien, die Schlagzeilen zu beherrschen. Sie stellen der Regierung ein Ultimatum.

Budapest. Ungarns Gewerkschaften richteten am Dienstag „Forderungen“ an die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán, die dieser als unerfüllbar ansieht. „Anständige Löhne“ (nachdem diese in den vergangenen zwei Jahren um gut 20 Prozent gestiegen sind) und „Pensionen, von denen man leben kann“. Es waren rhetorische Forderungen ohne konkrete Zahlen.

Zwei andere Punkte hingegen waren kalkuliert, Orbán tatsächliche Zugeständnisse abzuringen – mit dem Ziel, die Gewerkschaften sowie die Sozialistische Partei (MSZP) zu stärken: Änderungen des restriktiven Streikgesetzes und die Rücknahme des sogenannten „Sklavengesetzes“, das es Arbeitgebern ermöglicht, mit Einwilligung der Arbeitnehmer jährlich bis zu 400 Stunden Mehrarbeit anzusetzen. Ob das Gesetz zum Nachteil der Arbeitnehmer ist, die so mehr verdienen könnten, ist Gegenstand heftiger Debatten in Ungarn. „Faktum ist, dass 80 Prozent der Menschen das Gesetz ablehnen“, sagt MSZP-Chef Bertalan Tóth im Gespräch mit der „Presse“. Die Oppositionsparteien meinen, endlich ein zugkräftiges Thema gefunden zu haben. Erstmals seit Jahren dominieren sie die Schlagzeilen.

„Wir werden das Land lahmlegen“

„Wir werden nicht mehr wie Gentlemen im Parlament höflich Fragen stellen“, sagte Tóth am Dienstag in einem Interview mit der sozialistischen Zeitung „Népszava“. Zuvor hatte er im Gespräch mit der „Presse“ permanente „Obstruktion“ im Parlament angekündigt. Dazu soll es andauernde Protestaktionen auf den Straßen geben. Und Streiks. „Wir werden das Land lahmlegen“, kündigten Gewerkschaftssprecher an.

Zunächst aber wollen sie der Regierung fünf Tage Zeit lassen, gerechnet von gestern, Dienstag, um einen Verhandlungsausschuss einzurichten. Wenn Orbán das tut, wertet er freilich seine Gegner politisch auf und begibt sich in die Defensive. Genau das ist das Kalkül der Gewerkschaften und der Oppositionsparteien. Sie vertrauen darauf, dass Orbán dies nicht tun wird und sie mithin ungehemmt protestieren können. Dazu sollen zunächst Warnstreiks kommen und eventuell gar ein Generalstreik.

Allerdings sind Ungarns Gewerkschaften schwach organisiert und gefesselt durch ein restriktives Streikgesetz. Es schreibt vor, im Falle eines Streikes mindestens 66 Prozent der Produktion oder Dienstleistung des bestreikten Unternehmens aufrecht zu erhalten. Ein Streik würde dadurch fast belanglos. Außerdem sieht das Gesetz eine langwierige Genehmigungsprozedur vor. Allerdings haben die Gewerkschaften angekündigt, Zufahrten zu Unternehmen blockieren zu wollen – was kein Streik wäre, aber das Unternehmen lähmen würde. Vermutlich würde in dem Fall die Polizei einschreiten.

Die Opposition vermochte zwar in den vergangenen Wochen die Schlagzeilen zu dominieren, aber weder verbessern sich ihre Umfragewerte noch nehmen mehr Menschen an den Demonstrationen teil als bisher auch. Der eigentliche Zweck der Protestwelle – auch am Samstag wurde in Budapest erneut demonstriert – ist es laut MSZP-Chef Tóth, die „Aufmerksamkeit“ der Bürger zu wecken. Es gelte, die „Mauer der Regierungspropaganda zu durchbrechen“. Das soll bei den anstehenden zwei Wahlen in diesem Jahr helfen: der Europa-Wahl und den Kommunalwahlen. Für letztere wollen die Oppositionsparteien erstmals überall nur einen gemeinsamen Kandidaten aufstellen. Wenn das gelingt, könnten sie mehrere Städte erobern, vielleicht gar Budapest.

Diskussion über gemeinsame Liste

Anders sieht es bei den Europawahlen aus. Hier brachte Tóth zwar öffentlich eine „gemeinsame Liste“ ins Gespräch, aber mit dem Zusatz, er wolle diese Idee „nicht forcieren“. Nur wenige Tage davor hatte er gesagt: „Es wird keine gemeinsame Liste geben.“ Möglicherweise will er sich öffentlich kooperativ zeigen, aber in Wahrheit separat antreten – denn seine Partei dürfte bei den Europawahlen im Vergleich zum Rest der Opposition erstarken.

Wahrscheinlich wettet er darauf, dass insbesondere die größte Oppositionspartei Jobbik auch keine gemeinsame Liste möchte, denn dabei würde sie als führende Kraft unter den Regierungsgegnern nicht mehr sichtbar sein. Und tatsächlich – Jobbik lehnte eine gemeinsame Europa-Liste am Dienstag entschieden ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2019)

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