Westlicher Lebensstil: Frau von eigenen Brüdern entführt

Gericht. Zwei Brüder aus Tschetschenien entführten ihre Schwester, weil diese ein selbstbestimmtes Leben führen wollte. Nun wurden die Brüder und zwei Helfer verurteilt.

Das Schlagwort vom „Kampf der Kulturen“ trifft auf diesen Fall im eigentlichen Sinne des Wortes zu: Es war buchstäblich ein Kampf, ausgetragen auf offener Straße, als zwei Brüder aus Tschetschenien im August vergangenen Jahres ihre eigene Schwester gewaltsam in ein Auto verfrachteten und entführten. Der Grund: Die junge Frau habe nach Meinung ihrer Familie einen zu westlich orientierten Lebensstil geführt. Nun standen die Brüder vor Gericht.

Und nicht nur diese beiden jungen Männer - sie sind einst als Flüchtlinge aus Tschetschenien nach Österreich gekommen und hier aufgewachsen - mussten sich verantworten. Auch ein dritter Mann aus Tschetschenien, der bei der Entführung half, indem er das Auto lenkte, war angeklagt. Und obendrein eine 18-Jährige, die bei der Wiener Studienbeihilfebehörde arbeitet, als solche Zugang zum zentralen Melderegister hat und einem der Brüder verbotenerweise die Adresse der jungen Frau verraten hatte.

Was hat sich abgespielt? Die junge Frau, 22 Jahre alt, hatte ein selbstbestimmtes Leben führen wollen. Die traditionellen Regeln der Familie empfand sie als einengend. Demnach hätte sie einen Mann aus Tschetschenien heiraten und sich in der Öffentlichkeit in bestimmter Weise kleiden sollen. Verschleierung war nicht verlangt, aber die Röcke mussten jedenfalls über die Knie reichen.

"Sie hoffte, dass sie verstoßen wird"

Wissend, dass sie sich – obgleich sie eine erwachsene Frau ist – nicht einfach lossagen konnte, erfand sie etwas: Sie schrieb ihren beiden Brüdern, der Ältere ist 23, der Jüngere 19 Jahre alt, sie sei vergewaltigt worden. Den Hintergedanken, den die Frau dabei gehabt habe, beschrieb Richterin Daniela Zwangsleitner am Mittwoch im Straflandesgericht Wien so: „Sie hat die Vergewaltigung erfunden, weil sie hoffte, dass sie verstoßen wird, wie das teilweise in diesen Kreisen üblich ist.“ Diese Finte ging aber nicht auf.

Als nächsten Schritt kappte die 22-Jährige alle Verbindungen. Sie zog von Wien nach Saalfelden, Salzburg, wo sie mit ihrem österreichischen Freund lebte. Sie legte ihren tschetschenischen Namen ab und nahm einen in Österreich häufigen Namen an. Sie ließ sogar ihre Sozialversicherungsnummer ändern. Und nahm einen Job an.
Alles vergeblich. Der jüngere Bruder brachte die eingangs erwähnte Mitarbeiterin der Studienbeihilfe-Stelle dazu, die – per Vermerk – gesperrte Meldeadresse der Frau zu verraten.

Dann fuhren die Brüder und ihr Helfer nach Saalfelden, lauerten dem Opfer auf und zerrten dieses „filmreif“, wie die Richterin anmerkte, in ein Auto. Hinter den Vordersitzen liegend musste die Frau Saalfelden verlassen. Sie habe im Auto geweint und gesagt: „Ihr wollt mich umbringen“ – dies gab die Frau nun als Zeugin an.

Die in den Augen der Familie Abtrünnige landete in der elterlichen Wohnung in Wien. Durch einen Zugriff der Polizeieinheit Wega wurde sie nach neun Stunden befreit. Der Frau war es nämlich im Auto gelungen, ein SMS an eine Angehörige ihres Freundes abzusetzen.

Brüder gestanden und entschuldigten sich

„Wir schämen uns dafür“, sagten nun die Brüder. Der Jüngere erklärte noch: „Ich bin einfach emotional geworden. Ich wollte meine Schwester zurückhaben.“ Die Taten selbst (schon vor der Entführung hatten sie der Schwester das Mobiltelefon abgenommen und kontrolliert) gaben die Brüder und ihr Helfer - verteidigt von Nikolaus Rast und Alexander Philipp - unumwunden zu.

Die Brüder bekamen nun die gerichtliche Weisung, keinen Kontakt zur Schwester aufzunehmen. Alle drei Männer erhielten unter anderem wegen schwerer Nötigung und Freiheitsentziehung zwei Jahre Haft. Zwei Drittel der Strafe wurden bedingt verhängt. Die angeklagte 18-Jährige, die die Meldedaten verraten hatte, wurde wegen Amtsmissbrauchs verurteilt. Von einer Strafe sah das Gericht aber wegen des jugendlichen Alters ab. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.

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