Flüchtlingskrise: Europäisches Ende einer Odyssee

REUTERS/Darrin Zammit Lupi
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49 Migranten, die fast drei Wochen lang vor Maltas Küste ausharren mussten, dürfen endlich von Bord gehen. Doch von einer Einigkeit in der Migrationspolitik sind die EU-Staaten noch weit entfernt.

Valletta/Brüssel. Das lange Warten hatte am gestrigen Mittwoch ein Ende: Jene 49 Menschen, die die Rettungsschiffe Seawatch3 und Albrecht Penck im Dezember aus dem Mittelmeer gefischt hatten und die seither auf Einlass in einen europäischen Hafen warten mussten, dürfen in Malta von Bord gehen. Die 49 Personen sollen „in den nächsten Stunden“ an Land gebracht werden, verkündete Premierminister Joseph Muscat Mittwochmittag in Valletta.

Bei der Vereinbarung handelt es sich nicht um einen nachhaltigen Plan zur Eindämmung der Flüchtlings- und Migrationskrise, sondern um eine Ad-hoc-Lösung – denn von der Einigkeit in der Migrationspolitik sind die Mitgliedstaaten der EU nach wie vor Lichtjahre entfernt. Dass Malta nachgab, hatte damit zu tun, dass sich acht Unionsmitglieder bereit erklärt hatten, die Neuankömmlinge zu übernehmen: Deutschland, Frankreich, Portugal, Irland, Rumänien, Luxemburg, die Niederlande sowie Italien. Letzteres ist insofern überraschend, als Innenminister und Vizepremier Matteo Salvini den gestrigen Kompromiss heftig kritisierte: „Europa gibt den Erpressungen der Schlepper und der Nichtregierungsorganisationen nach.“ (siehe Seite 6)

Für Malta geht es nicht nur um die 49 Neuankömmlinge, sondern auch um weitere 249 Migranten, die seit längerer Zeit auf der Insel festsitzen. Im Rahmen der gestrigen Einigung wurde für einen Großteil von ihnen eine Lösung gefunden: 131 Personen werden an die aufnahmewilligen EU-Mitglieder weitergegeben, 44 Migranten aus Bangladesch werden unter Mithilfe der EU-Kommission in ihre Heimat zurückgeschickt.

Premier Muscat bemühte sich gestern nach Kräften, die Situation als einmalig darzustellen. „Malta ist ein sehr kleines Land. Bei der vorliegenden Lösung handelt es sich nicht um einen Präzedenzfall – das haben mir auch die europäischen Institutionen zugesichert.“ Die beiden Rettungsschiffe wurden aufgefordert, nach der Verladung der 49 Migranten auf Boote der maltesischen Küstenwache die Hoheitsgewässer Maltas unverzüglich zu verlassen.

„Müssen vorbereitet sein“

In Brüssel war man erleichtert, aber auch verärgert: „Das ist nicht, wofür Europa steht, wenn man 49 Migranten und Flüchtlinge drei Wochen lang auf hoher See lässt“, sagte Dimitris Avramopoulos, der EU-Kommissar für Migration. „Die EU kann sich hier nicht auf unorganisierte Ad-Hoc-Lösungen verlassen. Wir müssen darauf vorbereitet sein, dass manche Migranten per Boot oder über die Landgrenzen kommen. Dafür brauchen wir praktikable Mechanismen.“

Der Kommissar betonte einmal mehr die Notwendigkeit, die überfällige und vom österreichischen EU-Ratsvorsitz vermiedene Reform des Asylwesens zu vollbringen: „Jetzt ist es Zeit dafür.“ Vor allem die Dublin-Verordnung, welche regelt, welche Unionsstaaten für die Behandlung eines Asylantrages zuständig sind, müsse endlich reformiert werden. Bis dahin sei die Kommission bereit, „mit den am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten Übergangslösungen zu finden.“

Avramopoulos wies auf die neueste Statistik der Grenz- und Küstenwache Frontex hin. 2018 seien ihr zufolge rund 150.000 Menschen beim unerlaubten Überqueren der EU-Grenzen erfasst worden. Das sei die niedrigste Zahl seit 2013 gewesen. Die meisten seien von Marokko aus in Spanien angekommen, was laut Frontex dazu geführt habe, dass erstmals seit der systematischen Erhebung dieser Daten das westliche Mittelmeer die aktivste Migrationsroute nach Europa darstelle.

Fast alle dieser Menschen dürften Migranten sein, nur wenige dürften sich realistische Hoffnungen auf Asyl machen, denn sie seien laut Frontex mehrheitlich Marokkaner, Guineer, Malier und Algerier. Erstmals erfasste Frontex Alter und Geschlecht der irregulären Migranten. 82 Prozent seien demzufolge Männer gewesen, knapp jeder fünfte Migrant habe angegeben, jünger als 18 Jahre zu sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2019)

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