Wenn der Tourist den Touristen stört

Der Markuslöwe hatte seinen Platz lang nicht mehr für sich. Täglich kommen Tausende per Boot, Bus und Zug nach Venedig.
Der Markuslöwe hatte seinen Platz lang nicht mehr für sich. Täglich kommen Tausende per Boot, Bus und Zug nach Venedig.(c) REUTERS (Fabrizio Bensch)
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Städtereisen und Kreuzfahrten werden immer beliebter. Nur die Massen am schönen Ankunftsort ärgern. Aber keiner will zurückstecken. Also arbeiten Reiseveranstalter an Lösungen.

Wien. Der Österreicher macht den heimischen Reisekonzernen viel Freude: Er hat sich – schockiert über den plötzlichen Bettenmangel 2016, als Destinationen rund um das Mittelmeer in der Krise waren – zum dezidierten Frühbucher entwickelt und holt sich schon im November seine Kataloge. Er will öfter verreisen, weil er mehr Geld hat und ihm Auszeit wichtiger als Arbeit wird. Und er ist mit Pauschalreisen, Reiseversicherungen und der Beratung im Reisebüro gern auf der sicheren Seite – auch das eine Folge der jüngsten Krisen in der Luftfahrt und in den Zielländern.

Bei der Reisebürokette Ruefa ist man mit den Ergebnissen der am Donnerstag präsentierten eigenen Umfrage zufrieden. Vor allem das „Riesenpotenzial“ bei Kreuzfahrten, die innerhalb von wenigen Jahren zehn Prozent der Buchungen ausmachen, sieht Vorstand Walter Krahl als Erfolg. Heuer wachse das Geschäft wieder zweistellig.

Alle wollen fliegen

Doch die Schiffe tragen neben dem anhaltenden Trend zu Städtetrips dazu bei, dass sich der Tourismus mit der hässlichen Seite des Erfolgs beschäftigen muss: Wenn es sich in Barcelona, Venedig oder Hallstatt zwischen Urlaubern und Einheimischen – oder Urlaubern und Urlaubern – reibt, spricht man von Overtourism.

Also fragte Ruefa auch das ab und kam zu dem Ergebnis: Zwei Drittel fühlen sich zwar von den Massen bedrängt, vermeiden überfüllte Plätze. Geht es um die eigene Nachhaltigkeit im Reiseverhalten, gibt es aber Zurückhaltung: Nur 20 Prozent ist etwa eine „umweltfreundliche Anreise“ sehr wichtig, elf Prozent würden „auf jeden Fall“ mehr für ein nachhaltiges Angebot bezahlen. „Fliegen will dann doch jeder“, sagt Krahls Vorstandskollegin Helga Freund. Ähnliches kann man von Kreuzfahrern sagen. Tui und Ruefa stocken ihre Kabinen auf oder bauen in Erwartung des Wachstums selbst Schiffsflotten.

Obwohl sie die Urlaube organisieren, sehen sich die Konzerne beim Kampf gegen die Touristenmassen aber eher als Passagiere. „Das muss die Politik mit den Reedereien lösen“, sagt Freund. Die Massen, die zurzeit Venedig und andere europäische Städte überfluteten, kämen großteils aus Asien, sagt Krahl. „Dafür haben wir keine Lösungen. Aber wir versuchen, Tipps zu alternativen Sehenswürdigkeiten und Lokalen zu geben.“ Man müsse die Besucher aber auch zeitlich besser verteilen: „Es ist nicht notwendig, dass im Hafen von Barcelona am selben Tag sechs Schiffe stehen“, sagt Krahl. Am Ende sei es jedem selbst überlassen, wie er urlaube, findet man bei Ruefa: Als erfahrener Venedig-Besucher müsse man nicht erneut den Markusplatz sehen, den die chinesischen Touristen während ihres kurzen Stopps bevölkern. Genauso sei keiner gezwungen, eine Stunde für ein Foto im Wiener Café Central anzustehen.

Betten weitab vom Schuss

Kathrin Spichala vom Reiseveranstalter Tui sieht vor allem die Kreuzfahrtschiffe (die ihr Konzern selbst baut) und private Airbnb-Wohnungen als Treiber der Entwicklung. Die lokalen Politiker müssten die Urlauberströme besser verteilen. Besucherkontingente, wie sie in Venedig oder Hallstatt längst diskutiert werden, seien ein Weg, der erst erprobt werden müsse, sagt Spichala. Tourismusforscher der deutschen Hochschule Kempten kamen im Dezember in einer Studie zu folgendem Ergebnis: Jeder dritte Urlauber akzeptiert Besucherobergrenzen für überlaufene Touristenattraktionen.

Tui probiert eine mildere Strategie: Der Konzern baut nicht nur Schiffe, sondern auch Hotels – und das immer öfter bewusst an den Rändern gefragter Städte wie Palma oder Barcelona. „Die Hotels sind gut gebucht, auch weil das Preis-Leistungs-Verhältnis besser ist“, sagt Spichala.

Die Forscher aus Kempten kamen zu dem Schluss: So abschreckend ist Overtourism auch nicht. Bevor der Urlaub ausfällt, weicht man auf die Nebensaison und andere Ziel aus. Die Veranstalter wittern ihre Chance und bieten möglichst individuelle Pauschalreisen per Rad, Expeditionsschiff oder Camper an. Zum Glück, so Krahl, habe die Pauschalreise ihren schlechten Ruf als geführter Massentourismus verloren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2019)

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