"Dann gehen sie bis zur Schule mit dem Kopftuch und nehmen es davor ab"

Teresa Zötl
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Das geplante Kopftuchverbot an Volksschulen sieht Theologin Andrea Lehner-Hartmann kritisch. Es bestehe die Gefahr, dass betroffene Mädchen von öffentlichen Schulen an Privatschulen abwandern.

Das von der Regierung geplante Kopftuchverbot an den Volksschulen steht weiter in der Kritik. Es berge die Gefahr, wie die Theologin Andrea Lehner-Hartmann von der Uni Wien warnt, dass betroffene Mädchen von öffentlichen Schulen an Privatschulen abwandern und damit erst Recht keinen Zugang mehr zu anderen kulturellen Vorstellungen haben. "Der Zwang ist dann einzementiert", sagt die Theologin vor einer Konferenz an der Universität Wien.

Auch ein eventueller Druck auf die Mädchen, sich zu verhüllen, gehe durch ein Verbot nicht weg. "Dann gehen sie bis zur Schule mit dem Kopftuch und nehmen es davor ab", so Lehner-Hartmann im Gespräch mit der Austria Presseagentur. Die Mädchen würden dann genötigt, zwischen verschiedenen Welten zu wechseln.

Das politische Vorhaben

Mit einem Initiativantrag im Nationalrat wollen ÖVP und FPÖ ein Kopftuchverbot an Volksschulen implementieren - wobei gesetzestechnisch allerdings nicht nur Kopftücher angesprochen werden. Vielmehr soll generell "das Tragen weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung, mit der eine Verhüllung des Hauptes verbunden ist", untersagt werden.

Begründet wird dies im Gesetzesantrag mit "der sozialen Integration von Kindern gemäß den lokalen Gebräuchen und Sitten, der Wahrung der verfassungsrechtlichen Grundwerte und Bildungsziele der Bundesverfassung sowie der Gleichstellung von Mann und Frau".

Am kommenden Mittwoch (16. Jänner) soll der Gesetzesvorschlag im Unterrichtsausschuss behandelt werden. Geplant ist ein Beschluss als Verfassungsbestimmung, wozu die Zustimmung von NEOS oder SPÖ nötig wäre.

Wenn Kinder von den Eltern, einer Religionsgemeinschaft oder ihrer Community zu etwas gezwungen werden, müsse man handeln, betont Lehner-Hartmann. "Doch hier will man gegen eine Fremdbestimmung vorgehen und antwortet mit Fremdbestimmung durch den Staat." Die geplanten Strafen von bis zu 440 Euro findet sie dabei "absolut nicht adäquat".

"Manchmal reicht ein aufklärendes Gespräch"

Aus Lehner-Hartmanns Sicht wäre ein Kopftuchverbot nicht nur keine Hilfe für Betroffene, von denen es zudem nur wenige Fälle gebe. "Es geht dabei um das Agieren gegen eine bestimmte Religion und dagegen verwehre ich mich. Welche Konsequenzen soll das haben als Radikalisierung, Parallelgesellschaften und Ausgrenzung?"

Selbst wenn die Intention der Einzelpersonen hinter dem Gesetz kein "Islambashing" sei, werde es von der Gesellschaft so aufgegriffen. "Anders kann ich mir das Bespucken von kopftuchtragenden Frauen nicht erklären, das im Zuge dieser Debatte erfolgt. Ich vermute, dass es manchen auch ganz recht ist, dass sich das in der Gesellschaft radikalisiert."

Lehner-Hartmann plädiert für pädagogische Lösungen anstelle von Verboten. Man müsse mehr mit den Eltern reden, die ihren Töchtern bereits im Volksschulalter ein Kopftuch anlegen, und ihnen gegebenenfalls auch vermitteln, dass Zwang in der Erziehung - egal ob beim Kopftuch oder anderswo - in Österreich verboten ist.

Die Lehrer dürften hier allerdings nicht allein gelassen werden, betont Lehner-Hartmann. "Manchmal reicht ein aufklärendes Gespräch, beim nächsten braucht es vielleicht sozialarbeiterische Unterstützung in der gesamten Familie - und das können einzelne Lehrer natürlich nicht leisten. Aber zu meinen, das mit einem Verbot zu beheben, halte ich für blauäugig."

Gefühl von Zugehörigkeit soll erzeugt werden

Außerdem müsse man die Kinder darin bestärken, dass Zwang nicht zulässig ist und ihnen zeigen, dass es Ansprechpersonen für sie gibt, falls sie sich zu etwas gezwungen fühlen. "Das Wichtigste ist es, den Kindern zu zeigen, dass sie dazugehören, auch wenn sie eine andere Religion haben." Auch bei den Eltern müsse man ein Gefühl von Zugehörigkeit und Anerkennung unabhängig von Religion, Hautfarbe und kulturellem Hintergrund bewirken. Erst auf dieser Basis könne man gemeinsam Konfliktfragen verhandeln, so die Theologin.

In Österreich passiere seit Jahren das Gegenteil: Es werde politisch Stimmung gemacht gegen Muslime, die das Gefühl bekämen, ohnehin keine Chance auf Zugehörigkeit zu haben. "Wer gibt denn den Jugendlichen eine Orientierung, wenn sie nur in einer Parallelgesellschaft aufwachsen können?"

"Man fragt sich, wieso manche Schulen aufsperren dürfen"

An islamisch-konfessionellen Volksschulen tragen laut Islamischer Glaubensgemeinschaft weniger als 15 Prozent der Mädchen Kopftuch. Dass Mädchen zwischen sechs und zehn Jahren sich aus eigenem Antrieb für das Tragen des Kopftuchs entscheiden, glaubt auch Lehner-Hartmann nicht. Hier müsse der Staat "genau hinzuschauen, welche Ideologien von den Betreibern oder Religionslehrern mit dem Kopftuchtragen verbunden werden".

Unabhängig von der Kopftuchfrage appelliert sie für stärkere staatliche Kontrollen an den Privatschulen - und zwar bei allen Konfessionen. "Man fragt sich immer wieder, wieso manche Schulen überhaupt aufsperren durften. Den Schulen gilt es durchaus auf die Finger zu schauen." Dadurch könne man Schüler wesentlich besser schützen vor religiöser Indoktrinierung als mit "Symbolpolitik" wie dem Kopftuchverbot.

(APA)

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