Filmtipps

Überleben mit Augenbinde: Die besten neuen Originals auf Netflix, Amazon & Co.

Netflix
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Viele sehenswerte Eigenproduktionen und Zukäufe der Streamingdienste gehen im alltäglichen Strom der Veröffentlichungen unter. Wir ziehen sie wieder hervor – und empfehlen fünf aktuelle Perlen.

The Ballad of Buster Scruggs

Episodenwestern von den Coens
Zu sehen auf Netflix

Wer als Filmemacher Renommee genießt, aber Schwierigkeiten damit hat, seine Traumprojekte in Hollywood umzusetzen, klopft heutzutage bei den Streamingdiensten an. Netflix hatte bei den letzten Filmfestspielen von Venedig gleich drei prestigeträchtige Beiträge im Wettbewerb: „Roma“ von Alfonso Cuarón, „22 July“ von Paul Greengrass – und „The Ballad of Buster Scruggs“ von den Coen-Brüdern. Der Episodenwestern wurde ursprünglich als Miniserie konzipiert: Jede Folge eine andere Kurzgeschichte. Doch das Resultat überzeugt vor allem aufgrund der Verdichtung zu einem Gesamtpaket. An der Oberfläche haben die sechs Erzählminiaturen nichts miteinander zu tun. Auf das Groteske folgt das Tragische, auf eine absurde Anekdote eine nachdenkliche Parabel. Doch in ihrer Gesamtheit bietet die Sammlung einen umfassenden Überblick des Coen'schen Prinzips, seiner Methodik und Motivik. Im überkandidelten Titelteil zelebriert ein in die Kamera singender Outlaw den Wahnsinn seiner grausamen Revolverheldenwelt. Vom Versuch einfacher Leute, in selbiger zu überleben, berichtet eine andere Story mit berückendem Ernst. Was zunächst anmutet wie ein bloßes Divertissement, ist vielleicht einer der besten Coen-Filme seit Langem.

Outlaw King

Historienepos von David Mackenzie
Zu sehen auf Netflix

Spätestens seit Mel Gibson in „Braveheart“ lauthals „Freiheit!!!“ geschrien hat, kennt jeder den schottischen Nationalhelden William Wallace. Doch was ist mit seinem Nachfolger, Robert the Brus? In „Braveheart“ als Kurzzeitverräter gebrandmarkt, erfährt er nun seine filmische Rehabilitation: Regie-Chamäleon David Mckenzie („Hell or High Water“) widmet ihm mit „Outlaw King“ sein eigenes Historienepos. Fahnenschwingendes Pathos weicht hier über weite Strecken reservierter Nüchternheit: Statt stürmischen Heldentums setzt es Politik und Diplomatie, statt großer Schlachten kurze, undurchsichtige Scharmützel. Mittendrin: Chris Pine als bärtiger Rebellenkönigsfels in der Brandung moralischen Niedergangs.

Cult of Chucky

Schockerspaß von Don Mancini
Zu sehen auf Sky

Im jüngsten „Chucky“-Teil hat ein Psychologe die querschnittsgelähmte und inzwischen in einer Nervenheilanstalt untergebrachte Überlebende aus dem letzten Sequel davon überzeugt, dass nicht der in einer Puppe mit roten Zottelhaaren hausende Geist eines Serienkillers, sondern sie selbst ihre Familie massakriert hat. Als herauskommt, was der Seelenklempner mit seiner Patientin so alles anstellt, wenn er sie unter Hypnose gesetzt hat, merkt der sadistische, aber für einen #MeToo-Skandal dann doch zu anständige Titelheld bloß an, dies übertreffe sogar seine eigene Niedertracht. Der Humor ist bissig und selbstironisch. Die Schockerpassagen sind überdreht und doch ansehnlich inszeniert. Ein böser und schöner Spaß!

Bird Box

Überlebensthriller von Susanne Bier
Zu sehen auf Netflix

Leute laufen mit verbundenen Augen gegen Wände und brechen lachend zusammen. Nicht „Blinde Kuh“, sondern die „Bird Box Challenge“ ist daran schuld: ein Marketinggag von Netflix, der schnell zum (gefährlichen) Selbstläufer in Sozialmedien geraten ist. Mit dem Film, den er bewirbt, hat er nur oberflächlich zu tun: In „Bird Box“ wird jeder, der im Freien um sich blickt, von gespenstischen Mächten zum Selbstmord getrieben. Um dieses Konzept baut die dänische Regisseurin Susanne Bier einen apokalyptischen Überlebensthriller, der sich irgendwann als Drama über die Herausforderungen von Mutterschaft entpuppt: Sandra Bullock glänzt als Tigermama wider Willen, die verbissen um das Wohl zweier Kinder kämpft.

Crown Heights

Justizdrama von Matt Ruskin
Zu sehen auf Amazon

Von den 2,4 Millionen Häftlingen in allen US-Gefängnissen sollen schätzungsweise 120.000 zu Unrecht einsitzen. Darunter viele Afroamerikaner, die ob des latenten Rassismus im Polizei- und Justizapparat oft überstürzt festgenommen und zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Weil sie sich meist keinen Rechtsbeistand leisten können, sind ihre Chancen auf ein Berufungsverfahren gering. „Crown Heights“ basiert auf dem realen Fall von Colin Warner, der 1980 eines Mordes bezichtigt wurde, den er nicht begangen hatte. Der Vorgang ist exemplarisch: Die Aussagen von Zeugen entstehen unter dem Druck voreingenommener Polizisten. Auf der Geschworenenbank sitzen überwiegend Weiße. Erst 20 Jahre und zahllose gescheiterte Versuche später sprechen ihn die Autoritäten frei. Weil der Film neben seiner aufklärerischen Absicht auch pathetische Passionserzählung über einen Unbeugsamen sein will, der sich im Gefängnis seinen amerikanischen Spirit bewahrt, rücken die psychologische Figurenzeichnung und die historische Ursachenforschung für die bis heute anhaltende US-Politik der blindwütigen Masseninhaftierung allzu stark in den Hintergrund – aber eine kraftvolle Anklage ist er dennoch.

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