„Ich verkaufe nicht an Zigeuner“

Erzählerin von generöser Freigebigkeit. Ursula Krechel.
Erzählerin von generöser Freigebigkeit. Ursula Krechel.Boris Roessler / dpa / picturedesk.com
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„Geisterbahn“: Mit vielen bewegenden und empörenden Details und Figuren breitet Ursula Krechel das Schicksal der Sinti-Familie Dorn aus. In diesem Panorama eines Jahrhunderts deutscher Geschichte stecken mehrere Romane. Ein Ereignis!

Für die Familie Dorn in Trier hätte 1936 ein gutes Jahr werden sollen. Mit Karussell, Buden, Ponys sind die Schausteller so erfolgreich in der Region unterwegs, dass sie es schon fast zu bürgerlichem Wohlstand gebracht haben. Eben sind Alfons und Lucie mit ihrer stetig wachsenden Kinderschar in ein schmuckes Häuschen gezogen, in dessen Garten die Fliederbüsche blühen. Die kleinen Leute von Trier und den Gemeinden der Umgebung sind dankbar, dass es diese Familie von Sinti gibt, die mit ihren prächtigen, lauten, rasselnden Wunderwerken von Jahrmarkt zu Jahrmarkt zieht. Denn für ein paar Stunden möchten sie genießen, was das Leben außer Arbeit und Sorgen noch für sie bieten könnte – Zauber und Glück.

Ein umsichtiger Mann, der stets darüber grübelt, wie er sein Unternehmen modernisieren könnte, fährt Alfons erwartungsfroh zum ersten Mal nach Berlin, hat er doch erfahren, dass auf der Messe eine sensationelle Novität, der Autoscooter, präsentiert wird. Doch die Händler der Hauptstadt wollen mit ihm keine Geschäfte machen: „Ich verkaufe nicht an Zigeuner!“ Der „Runderlass betreffend die Bekämpfung der Zigeunerplage“ hat den Weg vorgegeben, der über lauter kleine Schikanen und bürokratische Zwangsmaßnahmen binnen weniger Monate Hunderttausende Menschen in die völlige Entrechtung führen wird. Keine andere Gruppe der Roma hatte sich so sehr mit dem Staat, in dem sie lebte, identifiziert wie die deutschen Sinti, keine war in der gesellschaftlichen Integration weiter gelangt als sie.

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