Ungarns Ambitionen

Wien, 15. Jänner 1869. Das Abgeordnetenhaus tritt morgen nach den längeren Weihnachtsferien wieder zusammen, um seine Arbeiten fortzusetzen.

Dasselbe nimmt seine Thätigkeit zu einer Zeit wieder auf, wo jenseits der Leitha die Wahlbewegung zur Erneuerung des ungarischen Abgeordnetenhauses im heftigsten Zuge ist. Der Wellenschlag dieser Bewegung reicht bis zu uns, und wir möchten aufrichtig wünschen, daß er seine Wogen bis in unser Abgeordnetenhaus spüle. Denn wenn irgendwo die öffentliche Meinung mächtig, wenn irgendwo dieselbe das Product aller Classen der Gesellschaft, wenn sie irgendwo der wahre Ausdruck der Gesinnung der Bevölkerung ist – so ist dies in Ungarn der Fall.

Wir diesseits der Leitha haben es uns angewöhnt, über die Ambitionen Ungarns zu grollen, so oft ein ehrgeiziger Anspruch von jenseits der Leitha erhoben wird. Auch in diesen Spalten wurde mancher Nothruf laut. Aber wenn wir auch nicht verkennen, daß ein großer Theil des überragenden ungarischen Einflusses ohne berechtigte Unterlage ist und gegen unsere thatsächlichen Leistungen verstößt, so müssen wir doch andererseits anerkennen, daß derselbe zu einem ebenso großen Theile ein Product werthvoller Verhältnisse ist, welche uns nicht abstoßen, sondern zur Nacheiferung anspornen.

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