Schauspielhaus

Der Internet-Wust in unserem Kopf

Schöne Musik, wenig Bewegung, viel Gerede bei „Autos“ von Enis Maci im Wiener Schauspielhaus.
Schöne Musik, wenig Bewegung, viel Gerede bei „Autos“ von Enis Maci im Wiener Schauspielhaus.(c) Matthias Heschl
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Franz-Xaver Mayr inszeniert die Uraufführung von Enis Macis "Autos" als Mischung von Messe und Sprachoper. Das ermüdet. Johanna Baader singt, das klingt schön.

Nur für zwei Minuten ins Internet: Nachschauen, wer war Ivi Punk? Nach drei Stunden sitzt man immer noch davor und kann sich nicht mehr erinnern, was man wissen wollte. Wissen wir überhaupt noch etwas, ohne Internet?

Enis Maci, 1993 in Gelsenkirchen geboren, untersucht in ihren Werken die assoziativen Gedankenwirbel im Kopf, die durch das Netz aufgemischt werden. Die jüngeren Schriftstellerinnen mit migrantischem Hintergrund, oft im Westen, meist in Deutschland sozialisiert, haben vielerlei studiert, ihr Verhältnis zur Sprache ist spielerisch. Miroslava Svolikova baut Mythen neu zusammen, ihr Stück „europa flieht nach europa“ ist am 23./24. 1. wieder im Kasino zu sehen; Yade Yasemin Önder zeigte ebendort „Kartonage“ über Fluchtwege aus der Tradition – und „Beben“ von Maria Milisavljevic, ein Drama über Virtualität, Realität und utopische Nischen im Kapitalismus, ist ab 25. 1. im Vestibül zu erleben. Das Burgtheater scheint bei neuen starken weiblichen Texten die Nase vorn zu haben, vor allem sind die Inszenierungen farbenprächtiger und praller als dies bei „Autos“ von Enis Maci, seit Samstag im Schauspielhaus Wien zu sehen, der Fall ist.

Die Mischung aus Messe und Sprachoper, inszeniert von Franz-Xaver Mayr, wirkt spröde, um nicht zu sagen: Einschläfernd. Das postmoderne Drama wandert vom bedauernswerten Sänger Daniel Küblböck über Morde mit Autos zu Bertha Benz. Es scheint, was Maci gerade einfiel, hat sie notiert, aber das täuscht, sie entreißt Geschichte dem Vergessen und zeigt, wie sich der vermeintlich beliebige Strom von Netzpartikeln in unserem Denken einnistet. Dies lässt sich zumindest dem Programmheft entnehmen, das informativer ist als die Aufführung.

Um ein altmodisches Radiogerät versammelt sich das Ensemble. Johanna Baader singt wunderschön, etwa ein französisches Chanson, zum Niederknien. Die im Vergleich zum Frontalvortrag kurzen Musiksequenzen erinnern an die Macht der Töne. Sie haben, gemeinsam mit den Bildern, nicht umsonst die Worte überwuchert.

Vorbild Jelinek, Kulturkitt Frankreich

Nicht nur wegen Baaders betörender Stimme verdichtet sich die ca. 100-Minuten-Uraufführung gegen Schluss, wenn der Text noch einmal die zuvor aufgefächerten Traumata resümiert. Vielleicht hätte dieses Drama klarer und lebendiger gewirkt, wenn es gespielt statt rezitiert worden wäre. Enis Maci scheint die intellektuell schärfste der neueren Autorinnen zu sein, die, bewusst oder unbewusst, Elfriede Jelinek nacheifern, deren Stücke auch einmal sonderbar gewirkt haben und inzwischen ein durchaus breitenwirksamer Teil des Kanons sind.

Das Ensemble ist nicht schuld. Simon Bauer, Steffen Link, Vassilissa Reznikoff und Sebastian Schindegger geben sich Mühe, diese Sprachexpedition zu illuminieren, und sind manchmal sehr komisch, wenn sie als Familie, eingezwängt im Wagen, Musik hören – unterwegs auf der Gastarbeiterroute in den Süden zu den Verwandten. Heiter oder genervt wirken diese Reisenden, die sich im Ausland einander entfremdet haben und es erst jetzt merken. Alles in allem: Eigenartig, aber nur in Momenten spannend. Maci hat auch pointierte Essays geschrieben: „Eiscafé Europa“ (Suhrkamp). Europa ist für die neuen Autorinnen ein großes Thema: Gut so.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2019)

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