Vatikan: Steuermänner für stürmische Zeiten gesucht

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Vatikan Steuermaenner fuer stuermische(c) AP (PIER PAOLO CITO)
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Der Papst steht noch heuer, in diesem Annus horribilis der katholischen Kirche, vor weitreichenden Personalentscheidungen. Gesucht werden 24 neue Kardinäle sowie Chefs wichtiger Kurienbehörden.

Den zweiten Band seines Jesus-Buchs hat Papst Benedikt XVI. gerade fertig geschrieben. Das theologische Lebenswerk des Joseph Ratzinger wäre damit gekrönt. Nun kann er, sagen sie in Rom, mal wieder mehr Zeit auf die Kirchenleitung verwenden. Es sind immerhin Personalentscheidungen zu treffen, die in Quantität und Qualität den Kurs der katholischen Kirche für die nächsten Jahre zugleich aufzeigen und beeinflussen werden.

Zum einen muss der Bayer bedeutende Führungsämter in der Kurie neu vergeben. Die Altersgrenze von 75 Jahren überschritten haben etwa die Kardinäle Giovanni Battista Re (Italien) und Walter Kasper (Deutschland). Der erste hat für die Binnenstrukturen der Kirche, der zweite für ihre Außenbeziehungen große Bedeutung. Re leitet die Bischofskongregation, das oberste Personalbüro für Führungskräfte: Es sucht und siebt Kandidaten für Bischofsämter in aller Welt aus. Kasper pflegt, an der Spitze des „Rats für die Einheit der Christen“, Beziehungen zu anderen Konfessionen sowie den Dialog mit dem Judentum.

Abgang der Favoriten von einst

Krankheitshalber, heißt es, will der indische Kardinal Ivan Dias (73) abtreten: Er leitet die „Kongregation für die Evangelisierung der Völker“, ein Amt von immenser Macht: Dort laufen administrativ und finanziell praktisch alle Kirchenfäden aus der Dritten Welt zusammen. Altershalber stehen der Brasilianer Claudio Hummes als Chef des „Klerusministeriums“ und der Slowene Franc Rodé von der Ordenskongregation zur Ablösung an. Dias und Hummes galten 2005 als mögliche Erben von Johannes Paul II., Benedikt XVI. holte sie dann in den Vatikan.

Was die Nachfolger für alle diese Posten betrifft, gibt es derzeit nur Spekulationen. Als heißer Kandidat entweder für die Bischofs- oder die Missionskongregation gilt der Erzbischof von Sydney, der Australier George Pell (68).

Unübersichtlich (wohl auch für den Betroffenen) ist die Lage bei Kasper: Es ist weder gesagt, dass er abgelöst wird, noch, dass er weitermachen soll. Indes sind drei Kandidaten als Nachfolger für ihn im Gespräch: der Dogmatiker und Bischof von Regensburg, Gerhard Ludwig Müller (62), der als Theologe geschätzt wird und sich als Herausgeber der gesammelten Werke Joseph Ratzingers empfohlen hat, dazu der italienische Erzbischof Bruno Forte (60), der ebenfalls einen großen Ruf als Fachtheologe hat, sowie der Bischof von Basel in der Schweiz, Kurt Koch (60).

Wie man richtig spekuliert

Koch ist ein gutes Beispiel dafür, wie Spekulationen entstehen: Am 6. Februar teilte der Vatikan mit, Benedikt habe ihn in einer Privataudienz empfangen. Daraus schließen Italiens Medien, Koch stehe auf der Liste für ein höheres Amt. Der Vatikan betreibt damit aber auch Politik: Von den anderen Kandidaten, die der Papst womöglich auch zum Vorstellungsgespräch geladen hat, erfährt die Öffentlichkeit nichts.

Wie auch immer: Wer eines der genannten Ämter erhält, bekommt dazu auch gleich den Kardinalshut – wenn er ihn, wie George Pell aus Sydney – nicht eh schon hat. Benedikt muss aber noch etliche Männer mehr in seinen höchsten Beraterkreis aufnehmen: Die Zahl der zur Papstwahl berechtigten Kardinäle, also jener Würdenträger, die jünger sind als 80, ist auf 111 gesunken (insgesamt gibt es laut Angaben des Vatikans derzeit 182 Kardinäle).

In den nächsten zwölf Monaten überschreiten weitere 15 die Altersgrenze. Hält Benedikt an der Regelung von Paul VI. (1963–78) fest, dass der Kreis der Papstwähler maximal 120 Personen umfassen soll, dann muss er bald 24 neue Kardinäle „kreieren“. Damit steht ein Fünftel des Papstwahlgremiums zur Erneuerung an.

Aus Gründen der Tradition kann (außerhalb des Vatikans) etwa der Erzbischof von München-Freising, Reinhard Marx (56), fest mit dem Kardinalshut rechnen. Als sichere Kandidaten gelten auch der neue Erzbischof von Prag, Dominik Duka (67), und seine Kollegen aus Westminster, Brüssel, Utrecht, New York, Toronto und anderen Metropolen.

Mehr Einfluss für Dritte Welt?

Aufschlussreich wird sein, welche globalen Gewichtungen oder Verschiebungen der Papst vornimmt: Die Kirche in Europa und den USA ist gegenüber den einstigen Missionsländern keine Wachstumsbranche mehr – dennoch haben ihre Vertreter die meisten Führungspositionen und stellen 71 der 111 wahlberechtigten Kardinäle, Afrika hingegen nur neun.

Wann Benedikt die „Neuen“ kreieren wird, hat er noch nicht verraten. Der Tradition und der Symbolkraft des Datums wegen könnte er es am Fest der „Apostelfürsten“ Peter und Paul tun, am 29. Juni, aktuelle Spekulationen indes tippen auf November.

Kaum Papst-Nachfolgegerüchte

Über einen künftigen Papst hingegen wird derzeit kaum spekuliert. Benedikt, der im April 83 wird, erfreut sich, nach allem was zu sehen und zu hören ist, bester Gesundheit. Die „Papabili“ von 2005 jedenfalls, also jene Kardinäle, die wie er als Nachfolger Johannes Pauls II. gehandelt wurden, hat Benedikt praktisch schon überlebt. Ernsthafte neue sind nicht aufgetaucht.

Am ehesten geht der Blick nach Spanien, von wo Benedikt den Erzbischof von Toledo, Antonio Cañizares Llovera (65), als Chef der Liturgiekongregation geholt und zum Kardinal befördert hat. In Rom nennen sie ihn seiner theologischen Fähigkeiten wegen den „kleinen Ratzinger“.

Abgewinkt hat Kardinal Peter Kodwo Appiah Turkson (61), der aus Ghana stammt und seit Jänner die Päpstliche Kommission „Iustitia et Pax“ leitet. Er wolle lieber nicht der erste schwarze Papst werden, sagt Turkson: „Ich glaube, für einen solchen würde es hart.“
Leitartikel von Michael Prüller, Seite 29

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2010)

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