Karl Lütgendorf: Sein Geheimnis nahm "Lü" ins Grab

Karl Lütgendorf
Karl LütgendorfORF
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Der Fall Karl Lütgendorf wurde auch im aktuellen Österreich-"Tatort" nicht gelöst. Der Ex-Armeeminister starb am 9. Oktober 1981 unter mysteriösen Umständen.

Autor und Regisseur Thomas Roth hat den aktuellen Österreich-"Tatort" rund um einen 37 Jahre alten Fall aufgebaut: Es geht um den Tod des ehemaligen roten Verteidigungsministers Karl Lütgendorf, der am 9. Oktober 1981 tot in seinem Jagdhaus aufgefunden wurde. Die offizielle Todesursache: Suizid. Diese wird seit Jahrzehnten bezweifelt, doch alle Spuren zu Geheimdiensten im Nahen Osten verliefen im Sand, obwohl bekannt war, dass Lütgendorf eine rege Vermittlertätigkeit in Sachen Waffenexport betrieb.

Zurück zum 9. Oktober: Am Morgen war der seit vier Jahren pensionierte Minister durchaus guter Dinge. Aber - was erst im Nachhinein verdächtig schien - sehr in Eile. Sein Gutsverwalter bat um einige Unterschriften, um die Arbeiter für die Woche auszahlen können, das tat "Lü" nur in äußerster Eile. Er hatte offenbar einen Termin. Mag sein, dass er von Unbekannten zu dem Treffpunkt bei seiner Jagdhütte beordert worden war.

Weil er nicht wie gewöhnlich um 12.30 Uhr bei Tisch erschien, fuhr ihm seine Frau ins Revier nach - und fand die Leiche: Nach vorn übers Lenkrad gebeugt, in den Mund geschossen, die Waffe (Smith & Wesson) fest in der Hand. In der linken.

Frau Emily Lütgendorf alarmierte den Gemeindearzt. Der konstatierte Suizid, obwohl alles dagegen sprach. Im Obduktionsbefund stand ebenfalls Suizid - und die Kriminalpolizei ließ lieber die Finger davon: Erst acht Jahre nach Lütgendorfs Tod bekam Gemeindearzt Schramm erstmals Besuch von Beamten der Kripo. Denn da wurde ein riesiger Waffenskandal unter dem Stichwort "Noricum" offenbar, und die Umstände rund um "Lüs" Tod waren wieder interessant.

Mageninhalt nicht untersucht

Bundeskanzler Kreisky soll sich im Besitz eines Dossiers befunden haben, wonach ein nahöstlicher Dienst den adligen Ex-Minister gekillt habe. Aber Kreisky wünschte keine Untersuchungen. Dass bei der Obduktion der Leiche der Mageninhalt nicht untersucht wurde, erscheint mehr als rätselhaft und eröffnet Verschwörungstheorien Tür und Tor.

Ehemalige Mitarbeiter im Ministerbüro Lütgendorfs hatten sich ihre eigenen Gedanken gemacht. Einer davon war lange im Heeresnachrichtenamt und Schießexperte. Er hatte von allem Anfang an die Selbstmordtheorie bezweifelt: Der Rückstoß reiße einem Selbstmörder die großkalibrige Waffe aus der Hand, sagt er. Dagegen spricht freilich, dass dieses physikalische Gesetz jedermann bekannt ist. Wäre der Mörder so dumm gewesen, der Leiche die Waffe in die Hand zu drücken? In die linke Hand: "Wir alle aus der Umgebung des Ministers wissen, dass Herr von Lütgendorf Rechtshänder war", versicherte der Beamte im Jahr 2006 im Gespräch mit der "Presse". Und dann die zerschossenen Vorderzähne: "Völlig klar - man hat ihn festgehalten und der Killer hat dem Ex-Minister die Pistole angesetzt."

Dem widerspricht das offizielle Gutachten. Heeres-Sachverständiger Ingo Wieser hatte im Auftrag der Staatsanwaltschaft 1989 Schusstests in Felixdorf gemacht und danach auf "Selbstmord" entschieden. Die Akten wurden geschlossen.

Für den Sohn, Philipp Lütgendorf, war es Mord. "Es ist erstens völlig unvorstellbar, dass der Vater keinen Abschiedsbrief hinterließ", meinte er im "Presse"-Gespräch. Dass angeblich kein Testament vorlag, macht dem Sohn ebenfalls zu schaffen. Es folgten jahrelange Gerichtsverfahren, die die drei Lütgendorf-Kinder aus erster Ehe gegen die zweite Ehefrau angestrengt hatten. Sie hatten inzwischen Hausverbot in Schwarzau. Das Ende vom Lied war, dass das riesige Anwesen samt Forst verkauft werden musste.

Rätsel bleibt ungelöst

Das Rätsel um Lütgendorf bleibt bis heute ungelöst. Seitdem blühen die Spekulationen, weil der Verteidigungsminister ein schillerndes Leben geführt hatte. Als Sohn eines k. u. k.-Generals war für ihn die Offiziersausbildung vorgegeben. Er stieg - ohne Parteibuch - im Bundesheer der 2. Republik rasch hoch, bis zum Brigadier, bis zum Sektionschef und Leiter der Ausbildung. Ein Pragmatiker, ein strenger Militär.

1971 konnte der damalige Minister unter Kreisky, General Johann Freihsler, aus Krankheitsgründen nicht mehr weiter. Dass er in der Wehrmacht (wie Lütgendorf) gedient hatte, war nicht das Problem für die SPÖ, aber das Wahlversprechen, den Wehrdienst auf sechs Monate zu kürzen, hatte dem Herzen des Generals heftig zugesetzt. So kam Lütgendorf ins Spiel. Er traute sich zu, den Wunsch des Nichtmilitärs Kreisky umsetzen zu können. Aber da war ein Problem: "Lü", ganz der alten Armee verbunden, verabscheute Parteibücher.

Kreisky bestellte ihn zu sich und bat ihn eindringlich: "Nimm das Parteibuch, da ist doch nix dabei. Ich hab' in der Partei den Cap, der is' a Grätzn und macht mir sonst Zores." Cap war damals noch ein aufmüpfiger Juso-Anführer. Lütgendorf weigerte sich nicht nur, sondern verlangte von seinem Du-Freund Kreisky, dass er ihn der Öffentlichkeit ausdrücklich als parteiungebundenen Fachminister vorstellen müsse.

Kurz vor seiner Angelobung teilte er seinem alten Vater dann am Telefon die Neuigkeit mit. Der antwortete lapidar: "Gott schütze Österreich!"

Seine Auftritte in der großen Politik sollten nämlich des Öfteren im Fiasko enden: "In der Politik ist es eben aus taktischen Gründen manchmal angezeigt, der Presse nicht die volle Wahrheit zu sagen", teilte er im Oktober 1972 dem Nationalratsplenum im Verlauf einer turbulenten Fragestunde mit. Der Wirbel damals hielt sich in Grenzen, denn viele der Volksvertreter waren sowieso derselben Meinung wie der General. Lütgendorf, der schon damals exzellente Kontakte zu Amtskollegen im Nahen Osten besaß, hatte dem Heeressportverein Syriens Scharfschützengewehre und Munition geschickt. Kreisky musste seinen Minister verteidigen: Welche Aufregung wegen "ein paar Knallkapseln"!

Brisante Details verschwiegen

Zum Sündenfall wurde Lütgendorfs Umgang mit der Wahrheit erst, als er auch seinem Herrn und Meister einige brisante Details verschwieg. Es ging um Waffen- und Munitionstransaktionen nach Libyen. Die Volksvertreter anschwindeln - das konnte ja noch angehen, aber den "Alten" selbst: Da war Kreiskys Geduld am Ende. Lütgendorf musste seinen Rücktritt einreichen und der stoische Otto Rösch sorgte als Nachfolger wieder für Ruhe im Ressort.

Die syrischen Militärs waren über den Sturz ihres Kollegen erstaunt und pikiert. Kreisky musste zu einem offiziellen Arbeitsbesuch bei Diktator Assad fliegen, um die Irritation zu planieren. Beim Bankett, das Kreisky seinen Gastgebern ausrichtete, meinte der damalige syrische Verteidigungsminister Mustafa Tlass zum "Presse"-Vertreter, er verstehe bis heute nicht, warum Kreisky, dieses Idol der Araber, so einen honorigen Mann wie "Lü" aus dem Amt jagen konnte. "Wir haben ihn sehr geschätzt", bedauerte Tlass, der sich auch beim Abendessen nicht von seiner imposanten Handfeuerwaffe trennen konnte.

Danach folgte das "zweite Leben" des Karl Lütgendorf. Noch als Minister hatte er ein zweites Mal geheiratet und sich neuen Vaterglücks erfreut. Was Kreisky zu dem Bonmot veranlasst hatte: "63 ist er? No ja, ein General kann sich halt noch befehlen . . . "

Welche Geschäfte er nach seiner Pensionierung im Nahen Osten betrieb, das bleibt bis heute ein Geheimnis. Bekannt ist lediglich, dass er als Aufsichtsrat bei Steyr-Daimler-Puch seine Kontakte nützte, um der österreichischen Panzerfertigung Aufträge zukommen zu lassen. Doch zu der Spekulation, dass eventuell inländische Killer am Werke waren, will sich heute niemand hinreißen lassen.

Anmerkung:Der Artikel von Hans-Werner Scheidl erschien erstmals im September 2006 in der "Presse", 25 Jahre nach dem Tod von Karl Lütgendorf.

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