Brexit-Deal abgelehnt: Kurz schließt Nachverhandlungen aus

Vor dem Parlament in London versammelten sich Anhänger einer neuen Referendums.
Vor dem Parlament in London versammelten sich Anhänger einer neuen Referendums.REUTERS
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Mit nur 202 Ja-Stimmen erleidet Premierministerin May ein historisches Debakel im Parlament. Die EU-Amtsträger bedauern und sehen die Wahrscheinlichkeit eines "harten Brexits" steigen.

Das Londoner Parlament lehnt den Brexit-Deal der Regierung ab. In der Abstimmung Dienstagabend gab es ein eindeutiges Ergebnis - nur 202 Ja-Stimmen und 432 Nein-Stimmen bedeuten ein Debakel für Premierministerin Theresa May. Sie gab sich nach der Ergebnis-Bekanntgabe kämpferisch. Die Regierung habe gehört, was das Unterhaus zu sagen habe. Sie bitte aber darum, darauf zu hören, was das Volk will. Sie stelle sich gerne einem Misstrauensantrag. Ein Vorschlag, den Oppositionsführer Jeremy Corbyn gerne aufgriff.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erklärte auf Twitter, er nehme den Ausgang der Abstimmung mit Bedauern zur Kenntnis. Das Risiko eines ungeordneten Austritt Großbritanniens aus der EU sei damit gestiegen. Er reiste Dienstagabend aus Straßburg nach Brüssel um das weitere Vorgehen der EU zu beraten.

EU-Ratspräsident Donald Tusk fragte auf Twitter: Wenn ein Abkommen unmöglich sei, niemand aber einen Austritt ohne Vereinbarung wolle, "wer wird dann letztlich den Mut haben zu sagen, was die einzig positive Lösung ist?"

Die Abstimmung stürzt das Vereinigte Königreich und die EU in eine neue Krise. May machte in ihrer Ansprache vor der Abstimmung Dienstagabend klar, ein zweites Referendum komme für sie nicht in Frage. Auch für einen Austritt aus der EU ohne Deal habe das Volk nicht gestimmt. "Die Zeit für uns ist gekommen, abzustimmen". Zugleich warnte May, die EU werde kein "alternatives Abkommen" anbieten.

Nach der Abstimmungsniederlage ist May nach einem vergangene Woche angenommenen Parlamentsantrag verpflichtet, binnen drei Tagen einen "Plan B" vorzulegen.

Kurz: "Keine Nachverhandlungen"

Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat nach dem Scheitern des Brexit-Abkommens im Londoner Parlament Nachverhandlungen ausgeschlossen. "Es wird jedenfalls keine Nachverhandlungen geben", teilte Kurz am Dienstagabend der Austria Presse Agentur mit. Der Ball liege nun in London, äußerte Kurz die Hoffnung auf "mehr Klarheit seitens Großbritanniens, was das zukünftige Verhältnis zur EU betrifft".

Brexit-Wortführer Boris Johnson sagte am Dienstagabend, Mays Deal sei "tot". Ähnlich äußerte sich auch die nordirische Partei DUP, die May im Parlament in anderen Angelegenheiten stützt. Auch im Kabinett rückte man unmittelbar nach dem Votum bereits von dem Deal ab. So sagte Gesundheitsminister Matt Hancock, dass das Abkommen geändert werden müsse.

Die irische Regierung intensiviert nach eigenen Angaben die Vorbereitung auf einen Brexit ohne Abkommen. In einer Dienstagabend veröffentlichten Erklärung bedauerte die Regierung in Dublin den Ausgang der Abstimmung auf der Nachbarinsel. Die Briten müssten klar machen, wie es weiter gehen soll, hieß es in der Erklärung. In dem Schreiben wurde zudem darauf hingewiesen, dass eine Neuverhandlung des Abkommens für die EU nicht infrage komme.

Kneissl: "Keep calm and carry on"

In Österreich beklagten EU-Minister Gernot Blümel (ÖVP), Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) das Nein des Unterhauses. Sie äußerten die Hoffnung, dass doch noch einen geordneten EU-Austritt geben kann, sahen Österreich aber auch für einen Hard Brexit gerüstet. "Keep calm and carry on" ("Bleib ruhig und mach weiter"), zitierte Kneissl am Dienstagabend in einer Stellungnahme gegenüber der APA das berühmte britische Motto aus dem Zweiten Weltkrieg. "Österreich ist jedenfalls auf alle Szenarien vorbereitet", betonte sie. Ähnlich äußerte sich auch der deutsche Finanzminister Olaf Scholz. Der Sozialdemokrat sprach zwar von einem "bitteren Tag für Europa", sagte aber mit Blick auf einen ungeordneten Brexit: "Wir sind vorbereitet."

WKÖ-Präsident Harald Mahrer appellierte, "bis zur letzten Minute" alle Möglichkeiten zu nützen, um einen "Chaos-Brexit" zu verhindern, weil dies ein "superlose-superlose-Szenario" wäre. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnte vor dramatischen Folgen eines ungeregelten EU-Austritts. "Unternehmen diesseits und jenseits des Ärmelkanals hängen weiter in der Luft. Ein chaotischer Brexit rückt in gefährliche Nähe", sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang am Dienstagabend in Berlin.

Rendi-Wagner warnt vor "hartem Brexit"

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hat nach dem Scheitern des Brexit-Deals im Londoner Unterhaus vor einem ungeregelten EU-Austritt Großbritanniens gewarnt. "Ein harter Brexit ohne Abkommen hätte unabschätzbare negative Folgen für Großbritannien und die EU", schrieb sie am Dienstagabend auf Facebook. Sie hoffe noch, "dass es wenigstens zu einem geregelten Austritt ohne Chaos kommt".

"Die Situation zeigt, wohin populistische Politik führt", kritisierte Rendi-Wagner den Brexit als "Fehlentwicklung". Sie forderte, dass die verbleibenden zehn Wochen (bis zum Austrittsdatum 29. März) "intensiv genutzt werden, um noch zu einer für alle Seiten tragfähigen Lösung zu kommen".

EU-Parlamentarier großteils enttäuscht

Im Europaparlament ist die klare Ablehnung des Brexit-Vertrags mit Enttäuschung aufgenommen worden. "Das britische Parlament hat gesagt, was es nicht will", schrieb der Brexit-Beauftragte des EU-Parlaments, Guy Verhofstadt von den Liberalen, am Dienstagabend im Kurzbotschaftendienst Twitter. "Jetzt ist es an der Zeit herauszufinden, was die Abgeordneten im Vereinigten Königreich wollen", so Verhofstadt.

Der Chef der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU), nannte das Abstimmungsergebnis "enttäuschend". Statt Klarheit gebe es nun "mehr Unsicherheit", schrieb er auf Twitter. Das Votum habe "die Möglichkeit eines sehr schädigenden Brexit erhöht".

Der Vorsitzende der SPD-Europa-Abgeordneten, Jens Geier, sprach von einer "krachenden Niederlage" für die konservative Regierung in London. Ein theoretisch möglicher Aufschub des für den 29. März geplanten Brexit mache angesichts der unterschiedlichen Motive zur Ablehnung des Abkommens "keinen Sinn". Der große Stimmenabstand zeige zudem, "dass kosmetische Änderungen am Vertrag die Mehrheiten nicht ausreichend verändern würden".

Der grüne Ko-Fraktionsvorsitzende Philippe Lamberts bezeichnete eine Verschiebung des Austrittstermins dagegen als "eine Option, die in Betracht gezogen werden sollte". Bedingung sei aber, dass dies dazu beitrage, "aus der aktuellen Sackgasse zu führen". Für Lamberts wäre es "nutzlos", das Austrittsdatum zu verschieben, nur damit der Brexit-Streit in Großbritannien weitergehen könne.

(APA/AFP/dpa)

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