Mikroplastik

Kleine Partikel, großes Fragezeichen

(c) Marin Goleminov, Presse
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Mikroplastik ist auf dem Vormarsch: Allein der Abrieb von Autoreifen verursacht jährlich tonnenweise kleinste Partikel, die in die Umwelt gelangen. Und sich dort ausbreiten: In Nahrungsmitteln, Tieren und Menschen wurde Mikroplastik bereits nachgewiesen.

Beim Blick in den Nachthimmel kann die Anzahl der Sterne überwältigend sein. Dabei ist selbst unter guten Bedingungen nur ein Bruchteil der etwa 250 Milliarden Sterne der Milchstraße erkennbar. Mikroplastikpartikel in den Ozeanen gibt es laut einem Bericht von „UN News“ vom Februar 2017 weitaus mehr als Sterne in der Galaxie: bis zu 51 Billionen. Mit freiem Auge erkennbar ist es, ähnlich wie die Sterne, mitunter schwer. Und worum handelt es sich dabei überhaupt? Mikroplastik, das sind Plastikteilchen mit einer Größe von unter fünf Millimetern, so die Definition, die am häufigsten in der Wissenschaft verwendet wird.

Während sich Mikroplastik immer weiter in der Umwelt ansammelt, steht seine Erforschung noch weitgehend am Anfang. „Erkannt wurde das Plastikproblem in der Wissenschaft bereits in den 1950er-Jahren“, sagt Lisa Kernegger, Ökologin bei Global 2000, „wenn man ein sehr langlebiges Material, das nicht zerfällt, produziert, ist dessen größte Stärke eben auch die größte Schwäche“.

75.000 bis 300.000 Tonnen Mikroplastik landen allein in der Europäischen Union jährlich in der Umwelt, so ein Strategiepapier der Europäischen Kommission zum Thema Plastik. Eine genauere Angabe ist schwierig, denn dazu fehlen die Daten. Obwohl sich immer mehr Studien mit Mikroplastik, dessen Verbreitung und Auswirkungen beschäftigen, sind die Dimension des Problems und dessen Konsequenzen für Umwelt und Menschen fast 70 Jahre später noch immer weitgehend unbekannt.

Nachweise in der Umwelt

Über Mikroplastiknachweise in der Umwelt berichten Forscher seit den 1970ern laufend, gerade in den vergangenen Jahrzehnten bekam das Thema immer mehr Aufmerksamkeit. Bis in die tiefsten Gebiete der Meere ist Mikroplastik laut einer im Oktober 2018 von chinesischen Wissenschaftlern veröffentlichten Studie bereits vorgedrungen. Mikroplastikpartikel verbreiten sich jedoch nicht nur in den Ozeanen, sondern auch in Flüssen und Seen, wie Forscher der Universität Cambridge und der Universität Plymouth in einer 2015 veröffentlichten Studie zusammenfassten. Für einen investigativen Bericht der Journalismusplattform Orb Media konnten Wissenschaftler Mikroplastik auch in Trinkwasser und abgefülltem Wasser nachweisen.

Sind Mikroplastikpartikel einmal in der Umwelt gelandet, gelangen sie in Nahrungsmittel und über die Nahrungskette auch in lebende Organismen. Mikroplastikfunde in Honig, Bier und Milch publizierte der deutsche Wissenschaftler Gerhard Liebzeit im Jahr 2014. Die Methoden dieser Studien und damit auch ihre Ergebnisse werden jedoch von anderen Forschern angezweifelt. Nachweise in Meereslebewesen gelten hingegen als unumstritten: Gefunden wurde Mikroplastik unter anderem in Fischen, Shrimps oder Muscheln und laut einer im Juli 2018 veröffentlichten Studie im „Journal Environmental Pollution“ sogar in größeren Räubern wie Seehunden.

Getränke werden in Plastikflaschen abgefüllt, Nahrungsmittel in Plastik verpackt und Kleidungsstücke aus Kunststoff hergestellt. Plastik ist ein ständiger Begleiter im Alltag. Wenig verwunderlich, dass auch der menschliche Körper nicht plastikfrei bleibt: Bei einer vom österreichischen Umweltbundesamt und von der Medizinischen Universität Wien im Oktober 2018 veröffentlichten Studie konnten Wissenschaftler Mikroplastik zum ersten Mal in menschlichem Stuhl nachweisen. Allerdings handelte es sich dabei lediglich um eine Pilotstudie mit acht Teilnehmern.

Primäres und sekundäres Mikroplastik

Woher die Mikroplastikpartikel kommen, ist weitgehend bekannt: Grundsätzlich wird bei der Entstehung von Mikroplastik zwischen primären und sekundären Quellen unterschieden. Rund 15 Millionen Tonnen des primären Mikroplastiks landen jährlich in den Ozeanen, so ein Bericht der International Union for Conservation of Nature and Natural Resources (IUCN) aus dem Jahr 2017. Ein Teil der primären Mikroplastikpartikel wird gezielt industriell erzeugt und Kosmetikprodukten oder Reinigungsmitteln zugesetzt. Die kleinen Plastikkügelchen sollen die mechanische Reinigungswirkung der Produkte unterstützen.

Die weit größeren Quellen von primärem Mikroplastik sind Produkte, bei deren Nutzung kleine Plastikteilchen entstehen, allen voran Autoreifen. Das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik hat in einer im Juni 2018 herausgegebenen Studie für Deutschland eine Emission durch Reifenabrieb von etwa 100.000 Tonnen pro Jahr errechnet. Für Österreich liegen vergleichbare Zahlen noch nicht vor. Dazu kommen unter anderem Plastikpartikel, die bei der Entsorgung von Kunststoffen freigesetzt werden und Plastikfasern aus Textilien. Laut einer Veröffentlichung der Umweltschutzorganisation Greenpeace im Juli 2017 enthalten bereits 60 Prozent der Kleidung weltweit Polyester. Mit jedem Waschgang lösen sich Plastikfasern aus synthetischen Kleidungsstücken, die zu klein sind, um vom Waschmaschinensieb aufgefangen zu werden und über das Abwasser in die Umwelt gelangen.

Plastikmasse vergleichbar mit 156.000 Titanics

Sekundäres Mikroplastik entsteht hingegen durch umweltbedingte Zerkleinerung und Verwitterung von größeren Plastikteilen. 8,3 Milliarden Tonnen Plastik hat die Kunststoffindustrie in den letzten 70 Jahren produziert, also mehr als eine Tonne pro Erdenbürger. Umgerechnet entspricht das etwa der Masse von 156.000 Titanics oder 60 Millionen Blauwalen. Nur ein Bruchteil des Plastiks wird recycelt oder verbrannt. Der Rest türmt sich auf Müllhalden oder verteilt sich in der Umwelt.

Laut einer Studie, die 2015 im Fachmagazin „Science" veröffentlicht wurde, landen so zwischen 4,8 und 12,7 Millionen Tonnen Plastik pro Jahr im Meer. Plastik wird zwar nicht von natürlichen Organismen abgebaut, allerdings immer weiter zerkleinert. Wind, Wetter und Wasser reiben, schleifen und reißen beständig an den Kunststoffen, bis winzige Partikel übrig bleiben.

Unbekannt ist, welche Konsequenzen die immer größeren Mengen an Mikroplastik in der Natur haben: „Wie sich Kunststoffpartikel auf Umweltorganismen auswirken, ist noch wenig erforscht. Vereinzelt gibt es Studien über Vorkommen und Auswirkungen von Plastik und Mikroplastik im Meer. Mikroplastikteilchen können von aquatischen Organismen aufgenommen werden und über die Blutbahn bis ins Gewebe gelangen“, schreibt das österreichische Umweltbundesamt in einer Stellungnahme gegenüber der Presse im November 2018.

Allerdings gelangt Mikroplastik nicht nur an die entlegensten Orte, sondern ist auch Träger von potentiell schädlichen Stoffen. In der Erzeugung von Plastik werden Chemikalien beigemengt, um den entstehenden Produkten gewisse Eigenschaften zu geben. Dazu gehören Weichmacher, UV-Schutz oder Flammschutzmittel, die laut österreichischem Gesundheitsportal zum Teil hormonell wirksam sind. Zusätzlich können sich Schadstoffe, die auf anderem Wege in die Umwelt gelangt sind, wie zum Beispiel Pestizide, im Wasser an die Oberfläche der Plastikteilchen heften. Über die Nahrungskette werden diese Chemikalien dann wiederum von Tieren und auch vom Menschen aufgenommen.

„Welche Auswirkungen Mikroplastik wirklich auf die menschliche Gesundheit hat, ist unklar, eigentlich tappen wir hier noch im Dunklen. Auch die langfristigen Auswirkungen auf die Umwelt sind noch nicht geklärt“, sagt Kernegger. Dennoch sei es notwendig, Gegenmaßnahmen zu setzen, anstatt „ein Experiment am Planeten durchzuführen“.

Erste Maßnahmen setzen

An konkreten Maßnahmen wird bereits gearbeitet: Auf der Ebene der Europäischen Union soll die Verunreinigung der Umwelt über die Kunststoffstrategie und das EU-Verbot bestimmter Einwegprodukte, die im September und Oktober 2018 vom Europäischen Parlament angenommen wurden, reduziert werden. Die Abgeordneten stimmten auch für ein Verbot von Mikroplastik in Kosmetikprodukten und Reinigungsmitteln.

Durch das Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus in Österreich wurde ein solches Verbot von Ressortchefin Elisabeth Köstinger (ÖVP) bereits ab 2021 angekündigt. Mikroplastik aus Pflegeprodukten macht laut Studie des IUCN nur einen kleinen Anteil der Gesamtmenge aus: lediglich zwei Prozent des primären Mikroplastiks in den Ozeanen. Das Verbot von Mikroplastik in Kosmetikprodukten und Reinigungsmitteln ist also als erster kleiner Schritt zu werten.

Schwieriger gestaltet sich die Reduktion von Mikroplastik aus anderen Quellen, wie etwa Autoreifen oder Textilien. Hier bedarf es laut Kernegger zunächst weiterer Forschung, um festzustellen, welche Textilien beziehungsweise Reifenmaterialien welche Mengen an Mikroplastik abgeben. „Es ist ein sehr komplexes Thema und braucht wahrscheinlich komplexe Antworten auf verschiedenen Ebenen“, sagt Kernegger. So, wie Forscher beim Blick durch das Teleskop nicht alle Sterne auf einmal erkunden können, lässt sich also auch das Problem Mikroplastik nicht mit einer einzigen Maßnahme lösen.

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