EU-Vorschriften

Europa, der Saubermacher

(c) Marin Goleminov, Presse
  • Drucken

Berge aus Plastikmüll sind an vielen europäischen Stränden bereits Realität. Laut dem WWF-Report 2018 ist Europa im weltweiten Vergleich nach China der zweitgrößte Plastikproduzent. Mit den neuen Vorschriften nimmt die EU-Kommission jetzt die Länder in die Pflicht, ihre Einwegplastikprodukte zu reduzieren.

Die Europäische Union soll plastikärmer werden und Verantwortung für den Plastikmüll übernehmen, der in der Natur landet. Dafür hat die Europäische Kommission im Mai 2018 neue EU-Vorschriften zur Verringerung der Meeresabfälle vorgelegt. Sie beinhalten ein Verbot der zehn häufigsten Plastikeinwegprodukte, die an europäischen Stränden gefunden werden. Es handelt sich um Produkte wie Wattestäbchen, Besteck, Teller und Trinkhalme.

Voraussetzung für das Verbot der Produkte ist eine bezahlbare Alternative auf dem Markt. Somit werden beispielsweise Trinkhalme zukünftig nur noch aus Bambus oder Papier hergestellt. Eine weitere wichtige Zielvorgabe neben dem Verbot ist die Verbrauchsminderung von Lebensmittelverpackungen und Getränkebechern aus Kunststoff.

Verantwortung der Politik

Zwischen EU-Parlament, EU-Kommission und Österreich fand im Winter 2018 (die Republik hatte zu diesem Zeitpunkt die EU-Ratspräsidentschaft inne) die Trilogverhandlung zu den neuen EU-Vorschriften zur Reduzierung von Einwegplastikprodukten statt. Für Österreich wurde bis 2021 ein Verbot von Wattestäbchen, Tellern, Besteck, Strohhalmen und Luftballonstäben aus Plastik beschlossen, verständigt haben sich die drei Parteien zudem auf eine Verminderung des Gebrauchs von Trinkbechern und Lebensmittelverpackungen.

Für Plastikflaschen gibt es in den EU-Regulierungen zwar keine Reduktionsvorgaben, wohl aber Zielvorgaben für deren Sammlung. Demnach sollen die EU-Mitgliedstaaten für ihre Einweg-Getränkeflaschen aus Kunststoff bis zum Jahr 2025 eine Sammelquote von 90 Prozent erreichen. Vorreiter hierfür sind die Pfandsysteme in Deutschland oder Dänemark. Zu den Vorbildern aufschließen möchte Österreichs Umweltministerin, Elisabeth Köstinger (ÖVP). So teilte sie im Oktober 2018 mit, die Reduktion von Plastikmüll habe höchste Priorität. Eine konkrete Höhe der Sammelquote sowie eine mögliche Übergangphase sind derzeit noch in Diskussion.

Aus Sicht der Ökologin Lisa Kernegger von Global2000 ist der Ansatz mit einer sofortigen 90-prozentigen Sammelquote sinnvoller. Die vom Rat vorgeschlagenen 75 Prozent schafft man laut Kernegger auch mit anderen Methoden, wie separater Sammlung und Aussortierung. Deswegen hält sie eine Fokussierung auf 90 Prozent und die damit verbundenen Investitionen in Sortieranlagen und Sammelmöglichkeiten für zielführender. Doch der Rat hat sich im Trilog für die Übergangsphase entschieden und führt bis 2025 eine 77-prozentige Sammelquote ein, die bis 2029 auf 90 Prozent aufgestockt werden soll.

Seit vielen Jahren hat sich der Verein Global2000 das Ziel gesetzt, die österreichische Natur nachhaltig sauberer zu machen und Lösungen zur Vermeidung von Müll zu finden. Aus dem Grund startete der Verein im Sommer 2018 eine Kampagne, bei der die Bevölkerung die Abfälle in Österreichs Natur dokumentieren konnte. Im Winter 2018 hat er den dazugehörigen Report „Müll in Österreichs Natur“ veröffentlicht. Für Global2000 stehen typische Abfälle meistens in Verbindung mit sehr kurzlebigen Konsumgütern und Take-away-Produkten. Jetzt stellt sich die Frage, wer für die Müllentsorgung in der Natur aufkommen soll.

Verantwortung der Produzenten

Während dieser Trilogverhandlung gab es nicht nur Einigkeit. Besonders bei der erweiterten Produzentenverantwortung waren die Positionen noch nicht deckungsgleich und mussten besonders diskutiert werden. Die Forderung des EU-Parlaments sieht vor, dass Hersteller von Kunststoffprodukten stärker in die Verantwortung gezogen werden. Konkret müssten diese Unternehmen zukünftig für die Entsorgung, Aufräumarbeiten und Öffentlichkeitsarbeit aufkommen.

Die Verhandler haben sich darauf geeinigt, dass die Hersteller von Kunststoffprodukten künftig einen Beitrag zu den Kosten für die Sammlung und das Verwerten ihrer Produkte leisten sollen, was gleichzeitig die Steuerzahler entlastet. Doch neben diesen Plastikprodukten sind auch die weggeworfenen Zigarettenstummel in der Natur problematisch. Da sie aus Plastik bestehen, zersetzen sie sich nicht und setzen nach dem Zigarettenkonsum sogar Schadstoffe in der Umgebung frei.

Ökologin Kernegger erachtet es als wichtig, dass auch die Produzenten verantwortlich gemacht werden, eine Infrastruktur aufzusetzen, die es den Menschen erleichtert, ihren Müll zu entsorgen. Die Ergebnisse des Reports von Global2000 unterstützen die Aussage, dass Plastik und weggeworfene Zigarettenstummel die größten Abfallanteile in Österreichs Natur ausmachen. Die Masse und das Volumen eines Zigarettenstummels sind im Vergleich zwar sehr gering, aber die hohe Stückzahl hat eine schädliche Auswirkung auf die Natur und den Menschen.  

Besonders die großen Unternehmen, wie Coca-Cola, PepsiCo und Nestlé, werden in vielen Umweltberichten für die Verschmutzung der Natur durch ihre Plastikverpackungen verantwortlich gemacht. Der „Global Audit Report 2018“ hebt vor allem die oben genannten Unternehmen hervor, da sie mit aufwändig ausgestalteten Verpackungen eine neue Plastikproduktion begünstigen. Der Report fordert die Unternehmen der Konsumgüterindustrie auf, gegen die Nachfrage von unnötigen Plastikverpackungen und Einwegplastikprodukten vorzugehen.

Viele Unternehmen, wie zum Beispiel Nestlé, thematisieren bereits das Umweltproblem von Plastikverpackungen in ihren Nachhaltigkeitsberichten. Sie sprechen von neuen Ansätzen und Entwicklungen, die den Abfall von Verpackungen und Kunststoff verringern sollen. Nestlé hat sich beispielsweise das Ziel gesetzt, bis 2025 seine Verpackungen zu 100 Prozent recyclingfähig oder wiederverwertbar zu machen.

Verantwortung der Konsumenten

Dabei ist Plastik nicht grundsätzlich schlecht. Doch der Kunststoff werde von den Konsumenten im Gegensatz zu Holz oder Metall als wesentlich wertloser angesehen, wodurch achtloses Wegwerfen begünstigt werde, sagt Dorothea Pritz, Pressesprecherin vom Fachverband der Chemischen Industrie Österreich. Laut Pritz haben der unachtsame Umgang der Konsumenten und die unzureichenden Entsorgungssysteme dem Material ein schlechtes Image verpasst.

Genau dieses Problem der Sensibilisierung von Verbrauchern hat das EU-Parlament in seine Vorschriften aufgenommen. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Verbraucher mithilfe von Öffentlichkeitsarbeit auf die negativen Auswirkungen des achtlosen Wegwerfens aufmerksam zu machen. Aber auch Alternativprodukte, Wiederverwendungsmöglichkeiten sowie Abfallsysteme sollen aufgezeigt werden.

Die Verpackungen haben in erster Linie einen praktischen Zweck, nämlich den Schutz der Lebensmittel, längere Haltbarkeit, Hygiene und eine bessere Transportmöglichkeit. Die Vermeidung von Einwegkunststoffprodukten funktioniert laut Pritz meist nur über den Ersatz von Mehrwegkunststoffprodukten. „Das vorrangige und ökologisch sinnvollste Ziel der Branche ist aber, wie es auch die Kunststoffstrategie vorsieht, die Recyclingfähigkeit ihrer Produkte zu erhöhen. Damit wird das Material wiederverwendet und so die Kreislaufwirtschaft gelebt“, sagt Pritz.  

Blick auf Europas Plastikberge

Die letzten vollständigen Zahlen der EU-Kommission von 2015 zeigen, dass in Europa 26 Millionen Tonnen Plastikmüll angefallen sind. Mit durchschnittlich 34,2 Kilogramm pro Einwohner liegt Österreich etwas über dem EU-Durchschnitt (31,1 Kilogramm pro Einwohner). Die Top drei der Plastikmüllproduzenten führt Irland mit 60,7 Kilogramm pro Einwohner an. Danach folgen Luxemburg mit 52 Kilogramm Plastikmüll pro Einwohner und Estland mit 46,5 Kilogramm pro Einwohner. Die Länder Kroatien und Bulgarien liegen stark unter dem EU-Durchschnitt und produzieren am wenigsten Plastikmüll. Neben Österreich produzieren die Mitgliedstaaten Dänemark, Schweden und die Niederlande trotz ähnlicher Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung wie Deutschland weniger Abfälle pro Einwohner.

(c) Ines Wunder

Im EU-Kreislaufwirtschaftspaket, das im Jänner 2018 vom EU-Parlament vorgestellt wurde, ist die Vermeidung und Wiederverwendung von Plastikprodukten verankert. Auch wenn die Vermeidung von Müll die beste Option ist, müssen die genutzten und konsumierten Gegenstände entsorgt oder wiederverwertet werden. Die EU-Mitgliedstaaten verwenden unterschiedliche Entsorgungspraktiken, wie Recycling, Müllverbrennung zur Energiegewinnung oder einfache Abfallentsorgung wie auf Deponien.

Die im Paket festgelegten Zielquoten für Recycling sollen bis 2025 auf 55 Prozent und bis 2035 auf 65 Prozent erhöht werden. Doch nur zehn von 28 Ländern würden derzeit die Quote erreichen, zeigt eine Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft. Einer der Gründe ist, dass große Mengen Müll von einigen Ländern immer noch auf Deponien landen, da dies eine der billigsten Optionen ist. Gleichzeitig ist das Deponieren von Müll aber auch eine der umweltschädlichsten Varianten.

Besonders in östlichen und südlichen Regionen Europas ist diese Praktik noch weitverbreitet. Länder wie Malta, Griechenland, Zypern oder Rumänien deponieren noch über 80 Prozent ihrer Siedlungsabfälle. Hingegen wird in Belgien, den Niederlanden, Schweden, Dänemark, Deutschland, Österreich und Finnland kaum noch Müll deponiert. Hier liegt der Fokus sehr stark auf der Abfallverbrennung und dem Recycling von Müll. Zu Europas Topländern in Sachen Recycling zählen immer noch Deutschland mit einer Recyclingquote von 66 Prozent und Österreich mit einer Quote von 58 Prozent. Diese 58 Prozent treffen zwar auf die Gesamtrechnung zu, aber nicht allein auf Plastik. Hier werden nur rund 30 Prozent der Kunststoffabfälle wiederverwendet.

Grundsätzlich begrüßt die Kunststoffindustrie die europäische Kunststoffstrategie, weil die Kommission die Firmen zu einem vermehrten Einsatz von Rezyklat aufruft, sowie zu Schritten, ihre Produkte recyclingfähig zu gestalten. Aber genau darin sieht Dorothea Pritz einen Widerspruch mit der neuen Einwegkunststoffrichtlinie. Diese unterscheidet nämlich nicht zwischen recycelbaren, bereits recycelten und herkömmlichen Materialien. Damit stellen die neuen EU-Vorgaben die Mitgliedstaaten bis 2025 vor einige Herausforderungen, wenn alle Ziele erreicht werden sollen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Gedankenexperiment

Ein Tag ohne Plastik: Geht das überhaupt?

Wer an Plastik denkt, denkt zuerst an Sackerln, Besteck, Verpackungen. Doch Kunststoffe stecken auch in vielen anderen Gegenständen. Ein Leben auf der Erde ohne Kunststoffe – ist das möglich? Ein Gedankenspiel.
Geschichte

Was ist Plastik? Und wer hat es erfunden?

Der Stoff, aus dem viele Träume sind: Unzählige Dinge des täglichen Lebens, wie Computer, Auto, Outfit oder Handy, werden aus Kunststoff gemacht. Doch wie entsteht die bunte Materie, die so vielfältig einsetzbar ist, und was zeichnet sie aus?
Plastikkreislauf

Vom Mistkübel ins Mittelmeer

Ein Albatros liegt verendet am Strand. In seinem Inneren befindet sich ein Sammelsurium von Flaschendeckeln, Gummibändern und weiteren Plastikteilen. (Was) hat der österreichische Durchschnittsverbraucher damit zu tun?
Mikroplastik

Kleine Partikel, großes Fragezeichen

Mikroplastik ist auf dem Vormarsch: Allein der Abrieb von Autoreifen verursacht jährlich tonnenweise kleinste Partikel, die in die Umwelt gelangen. Und sich dort ausbreiten: In Nahrungsmitteln, Tieren und Menschen wurde Mikroplastik bereits nachgewiesen.
Plastikfreies Leben

Kein Plastik für Nadine

Plastikfreie Alternativen sind im Trend: beim Kochen, Einkaufen und Hygieneartikel. Ein möglichst plastikfreies Leben hat sich auch Nadine Reyhani als Ziel gesetzt, die auf diesem Weg viel lernen durfte.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.