Medizin

Körperteile aus dem 3D-Drucker

(c) Marin Goleminov, Presse
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Plastik ist aus dem medizinischen Alltag nicht mehr wegzudenken, und doch klingen die neuesten Einsatzfelder der Kunststoffe nach Science-Fiction: Körperteile aus dem 3D-Drucker. Dabei kommen diese bereits in entlegensten Krisengebieten zum Einsatz.

Ob in der Einwegspritze oder im Implantat: Plastik hat aufgrund seiner hygienischen und gut verträglichen Eigenschaften schon Millionen Menschen das Leben gerettet. Einer der wichtigsten Vorteile von Plastik für die Medizin ist, dass es an die individuellen Bedürfnisse der Patienten, Ärzte und Krankenpfleger angepasst werden kann.

Die gemeinnützige Organisation Handicap International, die sich für die Rechte von Menschen mit Behinderung und gegen Landminen und Streubombenangriffe einsetzt, forscht seit 2015 an Prothesen aus dem 3D-Drucker. In einer ersten Versuchsreihe konnten 2016 bereits 19 Menschen nach Unterschenkelamputationen in Togo, Madagaskar und Syrien mit maßgeschneiderten Prothesen versorgt werden. Weitere Projekte sollen demnächst in westafrikanischen Ländern anlaufen, im Jemen ist die Einreise wegen Sicherheitsbedenken noch unsicher.

In den Ländern, in welchen Handicap International schon jetzt hilft, haben nur fünf bis fünfzehn Prozent der Menschen Zugang zu Orthopädie und Prothesen. In entlegenen und gefährlichen Gebieten mangelt es an medizinischem Fachpersonal, schlecht angepasste und verarbeitete Prothesen sind oft sogar kontraproduktiv. „Das sind die Herausforderungen, mit denen wir zu kämpfen haben“, erzählt Abderrahmane Banoune, Reha-Spezialist bei Handicap International.

Die Vorgehensweise von Handicap International: Mit einem portablen 3D-Scanner wird ein Modell des amputierten Körperteils erstellt, das mit einer Modellierungssoftware an die Bedürfnisse der Patienten angepasst wird, bevor es an einen 3D-Drucker geschickt wird.

Die Drucker befinden sich momentan in Europa, nur in Westafrika sind auch welche im Feld. Die bessere Erschließung von Krisengebieten sei das nächste Ziel, heißt es seitens der Organisation. „In ferner Zukunft sollen die Patienten einfach um die Ecke zum Orthopäden gehen und sich dort ihre Körperteile selbst scannen und drucken können“, prophezeit Banoune.

Die 3D-Drucker des AKHs

Eine Vorstellung, die für Laien durchaus unheimlich klingt: Nahezu geräuschlos arbeitende Maschinen, die ohne große Beaufsichtigung aus Kunststoffen Organmodelle nachdrucken, die in der Medizin eingesetzt werden können. Allerdings: In Österreich ist das aufgrund gesetzlicher Bestimmungen noch nicht ganz so einfach – auch bedarf es für die „Massenproduktion“ noch einiger Forschung.

Aktuell werden hierzulande in den meisten Fällen die Organmodelle nicht eingesetzt, sondern dienen Ärzten zur Operationsvorbereitung. Dazu kommt es derzeit etwa einmal in der Woche, Anfragen gebe es aber mehr, sagen Francesco Moscato und Ewald Unger vom Zentrum für medizinische Physik und biomedizinische Technik an der Medizinischen Universität Wien. Ihre 3D-Drucker befinden sich im AKH. „Die Anfragen können wir nicht alle erfüllen, da wir auf Förderungen angewiesen sind und die Prozesse material- und personalaufwendig sind“, sagt Moscato. Er zeigt sich aber zuversichtlich, dass bald auch mehr österreichische Modelle hergestellt werden können.

Konstantin Auer

Thomas Schweiger, Brustkorb-Chirurg am AKH, lässt solche Modelle etwa bei komplexen Rekonstruktionen am Kehlkopf anfertigen. Dies könne zu kürzeren und präziseren Operationen führen: „Mit den Modellen kann ich die OP besser planen als nur mit einem herkömmlichen 2D-Bild am Computer“, sagt er. Da die Anfertigung der Modelle aber dennoch aufwendig sei, werden diese momentan nur bei sehr speziellen Fällen angefordert. „An der Etablierung in der klinischen Routine forschen wir aber“, bestätigt Moscato.

Schweiger verwendet außerdem 3D-gedruckte Stents aus Kunststoff, die die Luftröhre von innen stützen. Sie bestehen zum Großteil aus Silikonen und kommen vor allem bei Patienten, für die die Konfektionsgrößen, also die vorgefertigten Standardgrößen, der lagernden Stents nicht passen, zum Einsatz. „Luftröhren sind nicht starr, sie haben Ecken und Kanten“, erklärt er bildlich, „mit dem 3D-Drucker können wir eine individuelle Anpassung an den Patienten erreichen, das passt sich dann wie eine zweite Schleimhaut an.“

Bereits drei Patienten konnten im AKH mit den Kunststoff-Modellen versorgt werden. Bei zwei weiteren ist der Einsatz geplant. Dabei werden zuerst mit Daten aus der Computertomografie oder der Magnetresonanztomografie dreidimensionale Bilder des Patienten am Computer erstellt, die mit spezieller Software druckreif gemacht werden. Das sorgt auch dafür, „dass es nach den Operationen seltener zu Infektionen kommt, da kaum Zwischenräume entstehen, wo sich Schleim oder Bakterien ansammeln können“, erklärt Schweiger. Es entstehe weniger Wundgewebe, und auf das Material reagiere „kaum jemand“ mit Irritationen.

Konstantin Auer

Ein Nachteil allerdings ist der Preis: Modelle aus dem 3D-Drucker sind etwa dreimal so teuer wie die Konfektionsmodelle, die um die 700 Euro kosten. Außerdem müssen die Implantate derzeit noch aus den USA geliefert werden, was sechs bis acht Wochen dauere, sagt Schweiger.

Der Grund: Es gibt noch keinen österreichischen Hersteller, der die Auflagen der Europäischen Medizinprodukteverordnung erfüllt. „In Zukunft“, hofft Schweiger, „können wir sie in zwei bis drei Tagen selbst machen. Die technische Ausrüstung hätten wir.“ Neben den Amerikanern seien auch die Schweizer, die Deutschen und die Italiener fortschrittlicher bei 3D-gedruckten Implantaten, erzählt Moscato. In Basel arbeite man schon an Schädelknochen aus dem 3D-Drucker, die nach Tumoroperationen eingesetzt werden sollen.

Lebende Zellen aus dem Drucker

Dass bei den Prothesen auf Kunststoffe zurückgegriffen wird, hat mehrere Gründe: Plastik ist leicht, hygienisch und billig. Und durchaus wiederverwertbar. So arbeitet Handicap International bereits daran, die Prothesen in Zukunft aus recyceltem Plastik herzustellen. Und Moscato betont, dass 3D-Drucker nur so viel Material verbrauchen, wie wirklich benötigt wird: „So gesehen gibt es auch in der 3D-Drucker-Community ökologisches Denken.“ Vorrangig sei aber die Qualität der Produkte.

Plastik ist nicht das einzige Material, das für medizinische Zwecke herangezogen wird. In der Zukunft dürfte die Wahl seltener auf Kunststoffe und Silikone fallen, die den Menschen direkt implantiert werden. Stattdessen werden Kunststoffe vor allem für die Formen verwendet werden, in welchen Implantate und medizinische Werkzeuge aus Metallen oder Keramik gegossen werden. Plastik werde ebenso als anfängliche Gerüststruktur für Zellen verwendet werden, die dort wachsen können, prognostizieren die Experten. Das Polymer PEEK etwa, das heute schon häufig in der Zahnmedizin für Prothesen verwendet wird, könnte Metalle bei Implantaten zukünftig ersetzen.

Geforscht wird außerdem vermehrt mit biologischen Materialien und biokompatiblen Kunststoffen, die ebenso aus dem 3D-Drucker kommen können. Beim sogenanntem Bioprinting geht es darum, lebende Zellen aus Patronen, ähnlich wie Tintenpatronen bei einem Drucker, in die richtige Form zu bringen. Das ist vor allem bei Geweben möglich, die nicht auf Blutversorgung angewiesen sind, etwa bei Herzklappen, Blutgefäßen oder Knorpeln. Im November 2018 organisierte Moscato ein Symposium zu 3D-Druck in der Medizin im AKH. Dort zeigte sich, dass die Forscher bereits an einer Weiterentwicklung dieser Techniken feilen: am „Electrospinning“.Dieses elektrische „Spinnverfahren“ testet Jos Malda von der Universität in Utrecht: Dabei werden aus Kunststofffasern Gewebestrukturen, auf welchen sich Zellen ansiedeln und die dadurch dreidimensional wachsen können, hergestellt. Zu funktionieren scheint das vor allem bei Herzklappen, Blutgefäßen oder in der Wundversorgung. Geforscht wird an den Kniegelenken von Pferden – es sieht laut Malda aber vielversprechend aus, dass nicht nur Tiere, sondern auch Menschen bald davon profitieren werden.

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