"Grüner Prinz": Agent für Israels Geheimdienst

Gruener Prinz Agent fuer
Gruener Prinz Agent fuer(c) AP (BEBETO MATTHEWS)
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Seine Führungsoffiziere nannten ihn den "Grünen Prinzen". Er ist der Sohn von Hamas-Führer Sheikh Hassan Yousef. Und er spionierte jahrelang für Israels Geheimdienst. Mosab Hassan Yousef im Gespräch mit der "Presse".

Mosab Hassan Yousef war mit 18 auf dem besten Weg, ein Terrorist zu werden. Bevor es dazu kam, nahmen ihn Israels Sicherheitskräfte fest – und drehten ihn um. Jahrelang lieferte er Informationen aus dem Herzen der Terrororganisation Hamas. Dank eines seiner Hinweise konnte sogar ein Attentat auf Israels damaligen Außenminister Shimon Peres verhindert werden. Auch seinen eigenen Vater lieferte Mosab Hassan Yousef aus – um ihn zu schützen. Denn er stand längst auf der Todesliste der Israelis. 2007 hatte er sein Doppelleben satt und emigrierte – mittlerweile zum Christentum übergetreten – in die USA.

Die Presse: Haben Sie Angst um Ihr Leben? Sie sind der Sohn eines Top-Hamas-Führers– haben aber jahrelang für den israelischen Geheimdienst gearbeitet. Die Hamas könnte versuchen, Sie aus Rache zu töten.

Mosab Hassan Yousef: Die Konsequenzen dieser Enthüllung waren mir sehr wohl bewusst. Es war also nicht leicht für mich, meine wahre Identität preiszugeben: Dass ich Christ wurde – und israelischer Agent. Eines von beiden kann schon dazu führen, dass ich getötet werde. Aber ich hatte den Drang, meine Geschichte mit meinem Volk zu teilen, mit einer neuen Generation im Nahen Osten, damit sie von meinen Erfahrungen lernen kann.

Angst habe ich keine. Ich weiß, dass das, was ich mache, richtig ist, egal, was die Konsequenzen sind. Und ich bin bereit, den Preis dafür zu zahlen.

Wie reagierte Ihre Familie auf Ihr Bekenntnis, für Israel spioniert zu haben?

Ich hatte seit der Publikation des Buches noch keinen Kontakt, aber natürlich ist es ein großer Schock für sie. Nicht nur für meine Familie, auch für mein ganzes damaliges Umfeld. Die Leute kannten einen ganz anderen Mosab. Nun konnten sie sehen, wer das wirklich war, der da in ihrer Mitte lebte. Ich bin mir aber sicher: Mich als Person lieben sie noch immer, sie verstehen nur nicht, warum ich das getan habe. Meine Familie hatte keine andere Wahl, als mich zu verstoßen, der gesellschaftliche Druck war zu groß.

Fühlen Sie sich als Verräter?

Was ich tat, sieht wie Verrat aus – aber das ist es für mich nicht. Ich habe meine Familie und mein Volk nicht verraten, denn ich liebe sie. Was ich verraten habe, war das ganze Glaubenssystem, das Verständnis von Heldentum in dieser Gesellschaft.

Als Sie mit 18 erstmals von den Israelis verhaftet wurden: Waren Sie da auf dem Weg, ein Terrorist zu werden?

Ich war jedenfalls ein Kandidat. So wie jeder damals in dieser Gesellschaft. Ich hätte ein Terrorist werden können, ein Killer, ich könnte jetzt schon tot sein. Man wächst auf in dem Traum, den Feind zu bekämpfen, die Besatzung, da stehen solche Optionen eben offen.

Sie wollten also mehr tun, als nur Steine zu werfen: Richtige Terroranschläge.

Ja, ich war bereit, alles zu tun, was meiner Gesellschaft nützen konnte, und ich hatte wahrlich genug Gründe, mich an den Israelis zu rächen.

Es ist schwer nachvollziehbar, wie Sie, der quasi in der Hamas aufgewachsen ist, die Seite wechseln konnten.

Das war eine lange Entwicklung. Als ich dem Shin Beth meine Zusage zur Mitarbeit gab, wollte ich erst Doppelagent werden. Den Shin Beth täuschen und von innen heraus angreifen. Aber dann war ich schockiert über die Brutalität und Folter der Hamas gegenüber den eigenen Leuten. Dinge, die ich draußen nicht gesehen habe, sah ich im Gefängnis plötzlich ganz deutlich.

Es gab also keinen Moment, wo Sie sozusagen „gekippt“ sind?

Nein. Es gab kein Ereignis, das alles auf den Kopf stellte. Selbst als ich schon längere Zeit für die Israelis arbeitete, war ich nicht wirklich loyal.

Sie wurden von den Israelis während Ihrer ersten Haftzeit brutal misshandelt und gefoltert. Wie konnten Sie mit diesen Leuten später zusammenarbeiten?

Zunächst ja nur zum Schein. Wenn ich dasaß und sie anlächelte, war hinter diesem Lächeln großer Hass. Ich wuchs im Bewusstsein auf, dass das meine Feinde waren. Sie hatten Angst vor mir, ich vor ihnen. Sie hassten mich, ich sie. Aber letztlich sind wir alle menschliche Wesen, und durch unsere Treffen lernte ich die Israelis besser kennen – und sie mich. Mein Führungsoffizier, den ich zunächst töten wollte, ist heute mein bester Freund, er ist wie eine Familie für mich. Der Feind von gestern kann morgen dein Freund sein – und umgekehrt.

Haben Ihnen diese James-Bond-Aktionen auch Spaß gemacht?

Klar. Jeder, der im Geheimdienstbereich arbeitet, weiß, dass ein solcher Job süchtig macht. Natürlich hat mir das gefallen. Es war ein gefährlicher Job, manchmal eine richtige „mission impossible“. Es war aber auch aus einem anderen Grund sehr wichtig für mich, denn ich lernte viel: über das Leben, über Prinzipien, Kulturen, menschliche Verhaltensweisen, sogar über Religion. So konnte ich vieles besser verstehen als der Durchschnittsmensch. Auch das macht süchtig.

Wie gehen Sie damit um, dass Ihre Informationen zum Tod anderer Menschen führten?

Wer sagte Ihnen, dass das so war?

Es geht aus Ihrem Buch hervor.

Vergessen Sie bitte nicht die Passagen in meinem Buch, wo ich beschreibe, wie ich das Leben sogar von Selbstmordattentätern rettete, die getötet werden sollten – und dabei mein eigenes Leben und das meiner Familie aufs Spiel setzte. Aber wenn ein Terrorist sich nach acht Stunden nicht ergeben will und noch immer schießt, wenn er also sterben will, dann ist das wirklich seine Schuld, nicht meine, nicht die der israelischen Soldaten. Aber ich war sicher nicht verantwortlich für die direkte Tötung eines anderen.
Ich war ja auch kein Informant im eigentlichen Sinne. Es war umgekehrt: Der Shin Beth hat mir Informationen gegeben, und da ich der Sohn dieser Kultur und der Hamas-Bewegung war, konnte ich diese Informationen kombinieren und analysieren.

Nach dem „Ausstieg“ gingen Sie in die USA und schrieben Ihr Buch. Wegen des Geldes?

Der Hauptgrund war ein anderer: Versetzen Sie sich in meine Lage: Sie lebten jahrelang in den gefährlichsten, geheimsten Organisationen – auf beiden Seiten. Über die Hamas wissen die Palästinenser sehr wenig, nicht einmal die Mitglieder wissen viel. Auf der anderen Seite war ich im Herzen des Shin Beth. Sie agieren also in diesen Organisationen, die in ihren Händen alle Schlüssel zum israelisch-palästinensischen Konflikt halten. Ich setzte dabei mein Leben und das meiner Familie aufs Spiel. Diese Geschichte musste einfach erzählt werden.

Werden Sie Ihre Familie je wiedersehen?

Derzeit klingt das unmöglich. Aber ich bin voller Hoffnung, dass sich die Lage im Nahen Osten wandeln wird.

Die radikal-islamische Palästinenser-Organisation Hamas wurde 1986 in Hebron gegründet. Einer der Gründer ist Sheikh Hassan Yousef, der Vater des „Grünen Prinzen“.

Bereits während der ersten Intifada (ab 1987) spielt die Hamas, die der Muslimbruderschaft nahesteht, eine Rolle im Kampf gegen die Besatzung. In späteren Jahren gingen zahlreiche Selbstmordattentate auf ihr Konto.

Die Parlamentswahl 2006 gewann die Hamas triumphal. Derzeit herrscht sie aber nur im Gazastreifen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2010)

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