Bestenfalls zwei zusätzliche Monate dürfen die Briten erwarten, um sich über ihre Haltung zur Union klar zu werden.
Straßburg. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Vereinigte Königreich wie vorgesehen am 29. März um Mitternacht die EU verlässt, ist seit der schweren Abstimmungsniederlage von Premierministerin Theresa May vom Dienstagabend drastisch gesunken. Die französische Europaministerin, Nathalie Loiseau, spricht sich nun ebenso wie der deutsche Wirtschaftsminister, Peter Altmaier, und zahlreiche andere europäische Spitzenpolitiker dafür aus, den Briten ein bisschen mehr Zeit dafür zu geben, sich darüber klar zu werden, was sie denn eigentlich wollen.
Wie lange kann so eine Fristerstreckung dauern? Realistisch betrachtet nicht über den 23. Mai hinaus. An diesem Tag beginnt die Wahl zum Europaparlament (sie läuft bis 26. Mai). Wenn das Vereinigte Königreich dann noch EU-Mitglied wäre, müsste es zuvor eine Europawahl veranstalten.
Neu gewählte britische EU-Abgeordnete, die jedoch vielleicht nur ein paar Wochen oder Monate bleiben? Eine absurde Vorstellung, die auch von den Spitzen aller führenden europäischen Parteifamilien abgelehnt wird. Er könne sich nicht vorstellen, wie man das den Bürgern der verbleibenden Mitgliedstaaten erklären würde, sagte beispielsweise Manfred Weber, der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei.
Dahinter steckt auch parteipolitisches Kalkül. Der Brexit stärkt nämlich das Gewicht der EVP, die ohnehin schon die größte Fraktion ist und es auch bleiben dürfte. Sie verliert nur zwei britische Abgeordnete, die Sozialdemokraten hingegen 20 Labour-Mandatare. Diese Stimmenverhältnisse entscheiden über Webers Chancen, zum Kommissionschef gewählt zu werden.
Denkbar wäre, dass statt gewählter Mandatare Abgeordnete aus Westminster bis zum tatsächlichen Brexit ins Europaparlament entsendet werden. Doch auch sie dürften, realistisch betrachtet, nur an den letzten beiden Plenarsitzungen des derzeitigen Parlaments im April teilnehmen. Kaum wahrscheinlich ist es auf jeden Fall, dass am 1. Juli britische EU-Abgeordnete noch nach Straßburg reisen werden, wenn sich das neue Parlament nach den Wahlen konstituiert – außer natürlich, die Politiker in London beschließen, in der EU zu bleiben. (GO)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2019)