Frust wegen Mietenexplosion: Berlin diskutiert Enteignungen

APA/dpa/Tim Brakemeier
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Hunderte Menschen stehen Schlange für eine halbwegs preiswerte Berliner Mietwohnung - keine Seltenheit bei Besichtigungen in der deutschen Hauptstadt. In kaum einer Stadt in Deutschland sind die Mieten zuletzt so stark gestiegen.

In Stadtteilen wie Mitte oder Prenzlauer Berg haben selbst Gutverdiener wenig Chancen, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Deshalb wird in Berlin über ein Instrument diskutiert, das viele an Nationalsozialismus oder die DDR erinnert: Enteignungen.

Eine Initiative will dazu im April ein Volksbegehren starten. Ziel ist ein Gesetz zur "Vergesellschaftung" großer Unternehmen, die in der Stadt mehr als 3.000 Wohnungen im Bestand haben. Im Fokus steht der börsennotierte Immobilienkonzern Deutsche Wohnen, der zu den größten der Branche in Deutschland gehört und allein in Berlin und Umgebung 115.000 Wohnungen besitzt. Er ist wegen Mieterhöhungen und dem Umgang mit seinen Mietern immer wieder in den Schlagzeilen.

"Wir wollen ein Stoppsignal für das spekulative Kapital setzen", sagt Rouzbeh Taheri, einer der Initiatoren des Volksentscheids. "Es kann nicht sein, dass solche großen Konzerne immer mehr Einfluss gewinnen und die Mieten in die Höhe treiben." Der Staat habe die Pflicht, für angemessenen Wohnraum zu sorgen - Wohnen sei ein Menschenrecht. Aber gleich die Enteignungskeule schwingen? "Eine radikale Lebenswirklichkeit verlangt nach radikalen Lösungen", meint Taheri.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Begehren eine Mehrheit bekommt. Die Linkspartei als Regierungspartner im rot-rot-grünen Senat (Stadtregierung) hat ihre Unterstützung zugesagt, Sympathie gibt es auch bei den Grünen.

"Fatales Signal"

Wirtschaftsvertreter warnen hingegen davor, Investoren zu vergraulen. "Die Debatte ist ein fatales Signal", kritisiert der Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK), Jan Eder. "Es ist beunruhigend, dass populistische und durch die Realität längst mehrfach widerlegte Forderungen ausgerechnet in Berlin mit seiner politischen Vergangenheit ihr Comeback feiern." Das sieht auch der Immobilienverband Deutschland so: "Enteignungen passen nicht in unser System der freien und sozialen Marktwirtschaft."

Aber sind Enteignungen in Deutschland überhaupt möglich? In der deutschen Verfassung (Artikel 14) ist das für bestimmte Fälle geregelt. Bei neuen Straßen, Bahntrassen oder im Kohlebergbau könne ein Grundstück gegen Entschädigung enteignet werden, erläutert Rechtswissenschaftler Christian Pestalozza von der Freien Universität Berlin. Neuland betrete das Volksbegehren indes mit dem Ziel, Unternehmen nach Artikel 15 zu vergesellschaften. Sie sollen in dem Fall in Gemeineigentum überführt werden, aber weiter wirtschaften können.

Die Mietenexplosion hat verschiedene Ursachen: So fehlen in der 3,7-Millionen-Metropole, deren Einwohnerzahl seit Jahren stetig zugenommen hat, laut Schätzungen bis zu 300.000 Wohnungen. Nach Berechnungen des Senats werden bis 2030 mindestens 194.000 gebraucht. Der Mangel erzeugt Druck auf die Mietpreise. Zudem ist der Immobilienmarkt in Berlin Spielwiese internationaler Investoren.

Allein 2017 wurde laut Immobilienmarktbericht die Rekordsumme von 18,1 Milliarden Euro umgesetzt. Die Preise für Wohnimmobilien sind einer britischen Studie zufolge zuletzt so stark wie nirgendwo sonst auf der Welt gestiegen. Diese Investments wollen wieder hereingeholt werden - über die Miete.

Wird es ein "Superzyklus"?

Jüngst wurden freie Wohnungen laut Statistik im Schnitt für 10,15 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete angeboten. Damit liegt die Hauptstadt in Deutschland zwar immer noch unter dem Niveau etwa von München, Hamburg oder Stuttgart. Doch in der im strukturschwachen Osten gelegenen Hauptstadt verdienen viele Menschen auch weniger als in anderen deutschen Metropolen. Und es könnte aus Mietersicht noch heftiger werden: Die Deutsche Bank geht in einer neuen Studie davon aus, dass Berlin eine der teuersten europäischen Metropolen werden könnte. Viel spreche für einen "Superzyklus" - also steigende Mieten und Kaufpreise weit über 2020 hinaus.

Um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, setzt der Senat auf ein Bauprogramm: Städtische Gesellschaften sollen bis 2021 etwa 30.000 Wohnungen bauen. Eine weitere Maßnahme: Kommunalisierung, also der Ankauf bestehender Wohnungen. Nachdem das bisher eher spärlich geschah, schlägt Regierungschef Michael Müller (SPD) vor, Tausende oder gar Zehntausende einst privatisierter Wohnungen zurückzukaufen - ausgerechnet von der Deutsche Wohnen SE. Das Unternehmen, das aktuell in Berlin stark in der Kritik steht, zeigte sich gesprächsbereit. Womöglich auch vor der Drohkulisse der Enteignungsdebatte.

Mieten in Großstädten gestiegen

Die Neuvertragsmieten in den sieben größten deutschen Städten sind 2018 weiter gestiegen. Gemessen am Vorjahr hat sich der Zuwachs aber abgeschwächt, wie eine am Donnerstag in Berlin veröffentlichte Analyse des Immobilien-Spezialisten Empirica zeigt. Demnach kletterten die Neuvertragsmieten in Berlin, Hamburg, München, Frankfurt, Düsseldorf, Köln und Stuttgart im Schnitt um 4,2 Prozent.

Im Jahr 2017 hatte das Plus bei 5,9 Prozent gelegen, heißt es in dem Papier, über das zuvor die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichte. Mieten in bestehenden Verträgen wurden nicht erfasst.

Ursache der geringeren Mietsteigerungen ist laut Empirica der wachsende Neubau von Wohnungen in Deutschland - auch wenn er noch hinter den Zielen der deutschen Regierung zurückbleibt. Aber auch die Nachfrage habe reagiert, meint Empirica-Vorstand Reiner Braun: "Junge Familien und Geringverdiener flüchten immer weiter ins Umland." Studenten wiederum ziehe es in "Schwarmstädte" in der zweiten Reihe wie Magdeburg, Chemnitz, Kassel und Heilbronn.

Bei den Mietsteigerungen gibt es indes große Unterschiede: Während die Neuvertragsmieten in Hamburg nur leicht um 1,3 Prozent binnen Jahresfrist stiegen, kletterten sie in Berlin um 6,4 Prozent.

Bei den Kaufpreisen ist demnach kein Abebben der Steigerungen zu sehen - im Gegenteil: In den größten deutschen Städten zogen die Preise für Eigentumswohnungen über alle Baujahre kräftig um 11,4 Prozent an. 2017 waren es noch 9,5 Prozent gewesen. Braun erklärte das mit dem großen Interesse von Investoren: "In- und ausländische Kapitalanleger wittern angesichts der Niedrigzinsen hier weiterhin Renditechancen."

(APA/dpa)

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