"Der Verräter": Die bitterböse Fratze des Rassismus

Paul Beatty legt sein Augenmerk – satirisch überhöht – auf den Alltagsrassismus in den USA unter Obama.
Paul Beatty legt sein Augenmerk – satirisch überhöht – auf den Alltagsrassismus in den USA unter Obama.Gregg Delman
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Grell, sarkastisch, verstörend: In der Satire „Der Verräter“ fabuliert Paul Beatty über neue Apartheid und Sklaverei in den USA – und dreht Geschichte und Kultur durch die Mangel.

Dass es Paul Beatty einmal die Sprache verschlägt, mag man sich angesichts seiner Vergangenheit als Poetry-Slammer mit den Qualitäten eines Stand-up-Comedian und seiner gegenwärtigen Profession als Professor für Creative Writing an der Columbia University nur schwer vorstellen. Als er aber nach dem National Book Critics Circle Award 2016 als erster US-Amerikaner nach einer Regeländerung auch den renommierten britischen Booker Prize in der Londoner Guildhall in Empfang nahm, geriet er ins Stammeln.

Sprachlosigkeit ist ansonsten nicht die hervorstechende Eigenschaft des 55-jährigen Kaliforniers. Kalt lässt Beatty ohnehin kaum jemanden. In seiner vielfach prämierten Satire „Der Verräter“ („The Sellout“), die die Welt auf den Kopf stellt, legt er beredt Zeugnis ab von einer Virtuosität, die indes die Leserschaft spaltet – in glühende Verfechter und brüskierte Gegner.

Zu sehr überschlagen sich seine Volten; zu böse und grell sind die Pointen, zu verstörend der Sarkasmus und Zynismus, mit denen der Afroamerikaner der US-Gesellschaft just am Ende der Obama-Ära die Fratze des beinahe überwunden geglaubten Rassismus entgegenstreckt, dass es einen erschaudern lässt. Provozieren und Schockieren sind bei ihm Stilmittel. Das gesellschaftlich tabuisierte N-Wort – „Nigger“ – spuckt Beatty aus, als würde die Sklavenhaltermentalität des 19. Jahrhunderts, die Apartheid und Diskriminierung bis tief hinein ins 20. Jahrhundert auch ins 21. hinüberlappen.


„Unser schwarzer Kumpel“. Politische Korrektheit ist seine Sache nicht. Schon die Eingangssätze sind eine Warnung vor dem, was kommt: „Aus dem Mund eines Schwarzen klingt das sicher unglaublich, aber ich habe nie geklaut. Habe nie Steuern hinterzogen oder beim Kartenspiel betrogen.“ So verschafft man sich maximale Aufmerksamkeit. Nichts und niemand ist vor Paul Beattys beißendem Spott sicher. Der erste afroamerikanische Präsident gilt ihm als „unser schwarzer Kumpel“. Die Helden der schwarzen Kultur – ambivalente Figuren wie Tiger Woods, Mike Tyson oder Bill Cosby – sind ihm alles andere als heilig. Er dreht alles durch die Mangel: die afroamerikanische Geschichte, die Popkultur. Rhythmus und Sprachduktus sind dem Gangster-Rap, dem Hip-Hop entlehnt.

Und so beginnt der Roman mit einem Monolog, der wie ein Stream of Consciousness vor sich hinfließt, der alles mitnimmt, was die Ufer säumt, sich ihm in den Weg stellt – und vor allem was dem Autor als Assoziation geradewegs in den Kopf schießt. Eine Vorladung vor dem Obersten Gerichtshof in Washington, wo sich der schwarze Ich-Erzähler in den heiligen Hallen der US-Justiz mittels Marihuana in Trance versetzt, bildet den Rahmen für eine Story, die aus dem Vollen schöpft. Der Sohn eines Psychologen, der unverschuldet bei einer Schießerei durch die Polizei ums Leben kommt, startet im bald von der Landkarte radierten „Agrar-Ghetto“ von Dickens im Süden von Los Angeles ein Experiment. Nicht nur baut er Marihuana, Melonen und Satsumas an, er führt die Apartheid wieder ein – erst in Bussen, dann in Schulen. Und siehe da: Alles funktioniert besser als zuvor.

Nicht genug der Perfidie: Vom Erfolg beflügelt, hält er sich schließlich einen „Haussklaven“ samt wöchentlicher ritueller Auspeitschung – Hominy Jenkins, einen ehemaligen Kinderstar aus der TV-Serie „Die jungen Strolche“, der sich ihm freiwillig ausliefert. Beatty zeichnet ein Kaleidoskop von schrägen Vögeln, mit oft surrealen, schwindelerregenden Einfällen und überschäumenden Metaphern, mit einem Stakkato an überdrehten Formulierungen – die ihm im wahren Leben eine Fülle an Klagen einbringen würden. Folgerichtig landet der bekiffte Protagonist am Ende auch vor dem Höchstgericht.

Ob er ein Verräter ist, wie der deutsche Titel suggeriert, ein Zyniker oder doch ein schonungsloser, hellsichtiger Aufklärer, der seine Finger auf die schwärende Wunden eines grassierenden Alltagsrassismus legt? Dass zahlreiche Verlage den furiosen Roman abgelehnt haben, dem das Verdienst zukommt, an Tabus gerührt zu haben, ist nicht verwunderlich. Paul Beattys Satire legt schmerzhafte Wahrheiten bloß.

Neu Erschienen

Paul Beatty
„Der Verräter“

Übersetzt von
Henning Ahrens

Luchterhand Verlag
349 Seiten
20,60 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2019)

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