London: An der Kreuzung wartet Tony Thatcher

David Cameron inszeniert sich als Erbe von Tony Blair und Maggie Thatcher. Das müsste für den Sieg reichen.

Gordon Brown überraschte. Er bewies Sinn für Humor. „Wahrscheinlich ist es das schlechtestgehütete Geheimnis der vergangenen Jahre“, hob der britische Premier an, als er verkündete, was bekannt war: Großbritannien wählt am 6.Mai.

Oppositionsführer David Cameron war jedenfalls bestens vorbereitet auf die Auflösung des Parlaments, die der politisch denkende und leidende Teil des Inselvolkes seit Monaten herbeisehnt. Dem Vorsitzenden der Konservativen gelang es schon am Tag eins des offiziellen Wahlkampfs, Brown die Show zu stehlen. Cameron versammelte seine Anhänger vor dem Big Ben, zeigte aufs Parlament und sagte: „Das ist die wichtigste Wahl seit einer Generation, und sie läuft auf Folgendes heraus: Ihr müsst Gordon Brown nicht noch einmal fünf Jahre ertragen.“ Das war natürlich nicht ganz korrekt, weil der Labour-Chef erst 2007 Tony Blair als Premier beerben durfte und davor als zunehmend übellauniger Finanzminister in den Startlöchern gesessen war. Aber es war ein dynamischer Auftritt.

Der regierende Schotte bevorzugte ein statisches Gruppenbild. Er eröffnete den Wahlkampf vor seiner Wohnung, dem Sitz des Premiers in Downing Street 10, und umgab sich dabei mit seiner Regierungsmannschaft. Damit wollte er erstens den (falschen) Eindruck vermitteln, dass seine Labour-Partei geschlossen sei, obwohl sie sich ihrem Kapitän gegenüber zuletzt ähnlich loyal verhalten hat wie die Besatzung der Bounty. Zweitens versuchte er, das Kinn kühn gen Himmel gestreckt, sich als staatstragend zu inszenieren. Seine Hauptbotschaft: Großbritannien ist auf dem Weg der wirtschaftlichen Besserung; wenn Camerons Amateurtruppe an die Macht kommt, geht es wieder zurück in die Intensivstation. Drittens ist es für jemanden, der nicht ganz an die Ausstrahlung von George Clooney herankommt, immer ganz gut, sich mit einem Team zu präsentieren.

Am bemerkenswertesten ist jedoch, dass Gordon Brown am ersten Tag des Wahlkampfs nicht schon völlig chancenlos ist. Das hätte vor einiger Zeit noch niemand für möglich gehalten, angesichts der allgemeinen Labour-Müdigkeit, die sich nach 13 Jahren an der Macht, einem verunglückten Irak-Krieg und einem saftigen Spesenskandal wie Mehltau übers Land gelegt hat; angesichts eines sauertöpfischen Spitzenkandidaten, der im Monatsrhythmus Palastrevolten niederschlagen musste, und angesichts einer konservativen Opposition, die sich weichgespült hat und in die wählbare Mitte der Gesellschaft gedriftet ist.

Doch Brown hat sich zurückgekämpft, oder die Tories haben an Schwung verloren – je nach Blickwinkel. Der 17-Prozentpunkte-Vorsprung Camerons ist in den vergangenen Monaten ziemlich geschrumpft. Der „Guardian“ sieht die Konservativen nur noch um vier Prozentpunkte voran, die „Sun“ immerhin noch um zehn. Was auch wieder beweist, dass sich manche Meinungsforscher gern an den Wünschen ihrer Auftraggeber orientieren.


Die Nachrufe auf Brown waren schon vor zwei Jahren aufgesetzt, geschrieben und in Stein gemeißelt. Doch dann kam die Wirtschaftskrise und brachte den Pastorensohn wieder ins Spiel. Dem Schattenfinanzminister der Tories, George Osborne, hängt bis heute nach, dass er sich gegen die gigantischen Stimuluspakete wandte, die das Wirtschaftssystem vor dem Zusammenbruch bewahrt haben. Cameron und Freunde sind außer Tritt geraten. Sie lassen auch die Klarheit vermissen, mit der sie auf ihrem Parteitag im Oktober noch beeindruckt haben. Damals kündigte Cameron klipp und klar an, er werde als Premier schmerzvolle Einschnitte bei den Staatsausgaben vornehmen. Mittlerweile ist der 43-Jährige vorsichtiger, seine Aussagen verwaschener geworden. Zu viel Ehrlichkeit kommt beim Wähler dann doch nicht so gut an.

Großbritannien steht vor einer spannenden Wahl zwischen einem Weiter-so und einer Zurück-zu-Staats-und-Europa-Skepsis, zwischen einer ideologisch entkernten Sozialdemokratie und einem Liberalismus mit sozialem und umweltfreundlichem Antlitz. Es geht um das Erbe von Tony Blair und Maggie Thatcher, das Cameron vorgibt, in sich zu vereinen. Es geht um die Chance auf einen Regierungswechsel nach 13 Jahren. Und deshalb hat Cameron die besseren Aussichten. Doch frei ist der Weg nach Downing Street 10 noch nicht. Und regieren werden die Tories möglicherweise nur mithilfe der in Umfragen sensationell starken Liberaldemokraten können. Sollte es so weit kommen, dann könnten Nick Cleggs Freisinnige einen hohen Preis verlangen: die Einführung des Verhältniswahlrechts. Das wäre dann allerdings einmal etwas anderes.


christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2010)

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