Buße tun

(c) Carolina Frank
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Für den Sonntag hat sich mein Lieblingsradiosender ein besonderes Service für Menschen wie mich ausgedacht.

Für den Sonntag hat sich mein Lieblingsradiosender ein besonderes Service für Menschen wie mich ausgedacht. Die ganze Woche unterhält er uns mit spannendem Radio­programm, und am Sonntag hilft er uns beim Büßen unserer Sünden. Und wir müssen uns dafür nicht einmal aus dem Bett bewegen! Ohne Ö1 würde man dem Übernachtungsgast neben sich vielleicht eine kleine Bleibechance einräumen, aber Pfarrer Ö1 hat viele Beispiele von enttäuschter Liebe parat. Sogar in Reimform. Bevor man sich mit eitlen Träumen irgendwohin versteigt, holt einen „Du holde Kunst" auf den Boden der Realität herab. Und wenn der Übernachtungsgast nach dem Frühstück mit einem „Wir hören!" und einer Umarmung entschwindet, ruft ihm Goethe aus dem Radio nach: „Kalt der Kuss von deinem Munde/Matt der Druck von deiner Hand." Kein Priester und keine freundlichen Messbesucherinnen könnten einen eindringlicher davor warnen, dass alles „nur Eitelkeit ist auf Erden".

Vor allem der Übernachtungsgast! Sicher, er schickt, kaum ist er aus dem Haus, schon ein Herz-Emoticon und möchte wissen, wann man sich wiedersieht. Aber wieder warnt einen das Echo aus dem Äther: „Wie lange sind sie schon beisammen? – Seit kurzem. Und wann werden sie sich trennen? Bald." Nicht dass man deshalb zu deprimiert zum Aufstehen wäre, aber für skeptisches Schweigen und trotzdem hoffen, dass er sich wieder meldet, reicht es. Und gerade, als man sich zusammen mit Ö1 die bange Frage stellt, ob er fort ist, „für immer fort, und ganz vergangen?", kommt ein „Heute Abend vielleicht?". Soll man „Ja, juhuhh!" zurückschreiben? Nein! Denn dank Ö1 kann man sich schon zusammenreimen, wie es weitergehen würde: „Itzt lacht das Glück uns an/ bald donnern die Beschwerden."

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